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sei. Um dem Kerl die Gesetze der Gastfreundschaft kurz zu erläutern, versetzte ihm der Zabtieh einen mächtigen Schlag auf den Kopf; dann wurden beide mit Knüttelschlägen hinausgetrieben, während sie aus vollem Halse schrien: „Tandura düschti, Tandura düschti“ – es war in den Tandur gefallen, es war in den Tandur gefallen.

Die Exekution hätte genügt; aber unsere Leute waren im Zorn. Die Zabtiehs wollten ihren Eifer bezeigen, und da die Schlägerei einmal begonnen hat, könnten wir ihr keinen Einhalt thun. Der Dieb wurde zu dem andern Zabtieh geführt, der den Grad eines Schiauch (Sergeanten) bekleidete; dieser wollte nicht hinter den andern zurückbleiben und verabreichte dem Dieb wieder eine derbe Tracht Prügel; darauf ließ er ihn sich hinlegen und fesselte ihm die Hände. Dem armen Teufel ist übrigens hart mitgespielt worden, so daß er ganz angeschwollen ist. Es sind dies brutale Vorgänge; aber sie sind in der Natur der dortigen Gebräuche begründet, und derjenige, der nicht zu solchen Maßregeln greift, wird verachtet und bestohlen. Im übrigen wird unser Dieb sich morgen erholt haben, und für einen Armenier, der von den Türken keine gute Behandlung gewöhnt ist, wird er sagen müssen, daß er noch glimpflich genug davon gekommen ist.

Backtrog mit Mehl.

Wir dagegen zogen unsere Revolver und erklärten aufs feierlichste, daß der erste, der das Unglück haben würde, in unsere Grotte zu kommen, unfehlbar eine Kugel durch den Kopf bekäme; dann machten wir Anstalten, uns zur Ruhe zu begeben.

Jetzt ereignete sich ein neuer Zufall: Hyvernat fiel in den Tandur. Glücklicherweise verletzte er sich nicht dabei, so daß unser Lachen gerechtfertigt war.

Vor der Szene mit dem Barometer hatte unser Gastwirt ein Päckchen gebracht, dessen Inhalt er uns zeigen wollte. Er kauerte vor uns nieder, nahm eine feierliche Miene an und begann das Päckchen zu enthüllen. Mit einer feierlichen Langsamkeit nahm er von dem Päckchen neunundzwanzig Taschentücher, wobei er sich noch jedesmal unterbrach, und bei dem 29. zeigte er uns ein Evangelienbuch aus der ersten Ausgabe der Mechitaristen von Venedig. Diese Achtung hatte etwas Rührendes an sich, aber die 29 Taschentücher setzten unseren Ernst auf eine harte Probe. Es ist wohl nicht nötig zu sagen, daß das Evangelienbuch noch niemals durchblättert worden ist, da sein Eigentümer gar nicht lesen kann.

29. November.

Wir widmeten den Tag dem Besuche der ringsumher zerstreuten Ruinen.

Am Morgen stiegen wir das Thal hinauf bis zu dem Dorfe Matawantz.[1] das ungefähr eine halbe Stunde von dem Weg nach Akhlat entfernt liegt. Das Thal ist nur eine enge Schlucht, wo das Ungestüme des Gießbaches und die großen Einstürze vulkanischer Felsen zuweilen ein schauerlich-schönes Gemälde bilden. Das Hauptinteresse aber beanspruchen auf dem Wege die zahllosen in den Felsen eingehauenen Grotten. Viele sind schon eingestürzt; die Ausdehnung ist auch verschieden.

  1. Matawantz oder besser Matnawantz.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/237&oldid=- (Version vom 1.8.2018)