Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/238

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Man kann wohl mit Recht diese heute verlassenen Wohnungen als den ältesten Kern der Stadt Akhlat ansehen; aber ein Irrtum wäre es, die Periode, wo die Gesamtheit der Wohnungen auf diese Weise hergestellt wurde, in die vorhistorische Zeit zu verlegen. In jenen Gegenden kennt man mehrere unterirdische Städte. Ani hat sein Grottenviertel, und in Georgien trifft man in der Nähe von Gori und auch noch sonst verlassene unterirdische Städte, deren Ruinen Zeugnis ablegen von einer ziemlich weit vorgeschrittenen dekorativen Kunst. Ich glaube den Daseinsgrund dieser Art Wohnungen in den Bedingungen des Klimas und des Terrains suchen zu müssen und nicht in der Tradition der Troglodyten. Zwischen der natürlichen Grotte, in welcher der Troglodyte hauste, und diesen unterirdischen Wohnungen besteht ein sehr großer Unterschied, der den sozialen Zustand in seiner größten Wildheit von einer ziemlichen hohen Stufe der Civilisation trennt.

Was die Bedingungen des Terrains und des Klimas betrifft, so schreibe ich gerade diesen die größte Bedeutung zu. Rom mit seinem Untergrund von Tuffstein, der leicht zu bearbeiten und dabei doch solid ist, hat ein unterirdisches Netz von Katakomben, die zusammen mehrere hundert Kilometer Länge aufweisen. Es scheint mir natürlich, daß in einem Lande, wo die Winter streng und die Sommer sehr heiß sind und wo frühzeitig Mangel an Brennholz entstand, man sehr bald auf den Gedanken kam, unterirdische Wohnungen anzulegen, zumal auch hier der Felsen leicht auszuhöhlen ist und später durch die Berührung mit der Luft verhärtet, so daß solche Wohnungen eine Ewigkeit dauern konnten. Ein anderer Vorteil war der, daß in diesen Wohnungen sich die Temperatur stets ziemlich gleich blieb, so daß sie im Sommer kühl und im Winter warm erscheinen mußte.

Die Wohnungen von Matawantz, stufenförmig an den Seiten der Schlucht angebracht, sind beinahe alle unterirdisch. Eine alte armenische Kirche, die malerisch an dem Felsen gleichsam angeklebt ist, überdacht das linke Ufer des Gießbachs. Auch diese Kirche ist zum großen Teile in dem Felsen ausgehöhlt.

Auf dem Rückweg von Matawantz erkletterten wir das bereits erwähnte Plateau (Nr. 5 des Planes). Dieses Plateau beherrscht die Verbindung des Hauptthales mit einem kleinen Seitenthale ohne Wasser, in das der Pfad nach Adeldschiwas hinabführt. Im Norden ist es von dem oberen Plateau durch eine leichte, vielleicht künstlich angelegte Senkung getrennt. Hier erhob sich ehemals die Festung und ganz gewiß auch das Palais des Sultans von Akhlat. Der persische Schah, der diese Bauwerke im Jahre 1548 zerstörte, ließ keinen Stein auf dem andern, und heute geht der Pflug über jene historisch merkwürdigen Stellen.

Wahrscheinlich sollte Akhlat, wie heute Wan, ein großes unbefestigtes Gärtenviertel mit zerstreut liegenden Wohnungen bekommen. Diese Annahme scheint nur schon aus dem Grunde sehr wahrscheinlich, da man nirgendwo eine Spur von einer Umwallung findet, die bestimmt gewesen wäre, Akhlat einzuschließen.[1]

  1. Ich bin übrigens der Ansicht, daß diese Einrichtung von „Gärten“ auch bei viel ältern Städten, z. B. bei Ninive, im Gebrauch gewesen ist. Abgesehen davon, wie weit die uns erhaltenen Beschreibungen von Ninive auf Wahrheit beruhen, so scheint es doch unmöglich, daß die ganze Stadt innerhalb der heute noch sichtbaren Umwallung gelegen habe. Dieser Wall war wahrscheinlich dazu bestimmt. die Stadt des Königs zu umgeben. Da man keine andere Befestigungen aufgefunden hat, so darf man mit Sicherheit annehmen, daß die Stadt des Volkes ohne Befestigungen war und mit ihren „Gärten" eine große Strecke Landes bedeckte. Babylon war ganz mit Mauern umgeben. Aber die ans Wunderbare grenzende Ausdehnung seiner Befestigungen — die ungefähr fünfhundert Quadratkilometer einschlossen — zeigt doch klar, daß diese Mauern nicht bloß eine Stadt in dem strengen Sinne des Wortes eingeschlossen haben, sondern auch eine sehr große Zahl von „Gärten". Diese Ansicht wird zudem heute fast überall angenommen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/238&oldid=- (Version vom 1.8.2018)