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Die Tänzer sind Knaben von zehn bis zwölf Jahren, bekleidet mit langen Gewändern. Die Tänze sind ziemlich mannigfaltig, aber der Gesang, womit er begleitet wird, ist einförmig. Neben dem wilden Schütteln zeigen sie auch anmutige und ganz gewandte Bewegungen. Diese barbarische Musik, die durch das Echo der Grotte noch verstärkt wurde, und diese Tänze bei dem flackernden Richte bildeten ein fremdartiges und zugleich künstlerisches Schauspiel.

Bei näherer Betrachtung schwand indes jeder Zauber und machte einer tiefen Traurigkeit Platz; denn die bekannte Sittenlosigkeit der Türken legt diesen Kindern schändliche Bedingungen auf und macht sie zum Spielball der niedrigsten Leidenschaften.

30. November.

Um sieben Uhr fünfundvierzig Minuten reisten wir ab. Der Himmel war bewölkt und die Temperatur ziemlich warm, was uns nichts Gutes zu verkünden schien.

Von Akhlat nach Tadwan sind sechs Wegestunden. Der Weg war ausgezeichnet und ganz frei von Schnee. Es bot sich uns kein weiteres Hindernis als eine Anzahl von Bächen, die zwar ziemlich groß sind, aber doch durchwatet werden konnten.

Nimrud-Dagh.

In der ersten Zeit des Marsches blieben wir in einer schmalen Ebene, die jedweden Charakters entbehrte. Gegen Osten bemerkten wir die Ufer des Sees, die hier niedrig und sumpfig sind; nach Westen zu schließt der Nimrud die Landschaft ab.

Seine Masse erhebt sich ungefähr tausend Meter über den See, doch erscheint sie schwerfällig und nicht anmutig; aber man kann sich eine ziemlich genaue Rechenschaft über die ungeheure Ausdehnung seines Kraters geben, der gewöhnlich als der zweitgrößte auf der Erde angenommen wird.

Wie der Sipan hat auch der Nimrud seine Legende. Nimrod, der gewaltige Jäger vor dem Herrn, hatte seine Winterwohnung in Roha aufgeschlagen; um der Hitze des Sommers zu entgehen, baute er sich auf dem nach ihm benannten Berge ein wunderbar schönes Schloß. Aber durch seinen Stolz rief er den Zorn Gottes hervor; auf Befehl Allahs senkte sich der Gipfel des Berges, verschlang das Schloß und seine Bewohner und bildete einen See von 1500 Ellen Tiefe und 3000 Parasangen Umfang.[1]

  1. Die Parasange, über deren Größe keine Übereinstimmung herrscht, bildete die Strecke, die ein Mensch ungefähr in einer Stunde zurücklegen konnte, also vier bis fünf Kilometer. Heute zählt die persische Parasange 3,5 Kilometer.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/241&oldid=- (Version vom 1.8.2018)