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sie vielleicht in der guten alten Zeit ein bedeutendes Hindernis für den Hemd gewesen sein.

Xenophon kam hier mit seinen Zehntausend vorbei, erwähnt aber leider in seinem werke „Anabasis“ die Festung Bitlis nicht. Die Überlieferung schreibt die Gründung der Stadt Alexander dem Großen zu und weiß sogar die Offiziere zu nennen, denen die Bewachung der Stadt oblag.[1]

Das Schloß ist der Mittelpunkt der Stadt. Ein wenig stromaufwärts mündet auf dem rechten Ufer des Bitlis-Tschaï ein kleines Thal mit sanften Abhängen. Die Wohnungen liegen hier in Gärten zerstreut; das Ganze erscheint als eine Vorstadt von Bitlis. Die eigentliche Stadt liegt um das Schloß herum und stromabwärts, überall in den Abhängen, steigt die steilen Felsen hinauf und bietet dem Auge überall halsbrecherische Sträßchen, unglaubliche Anblicke, Häuser, die buchstäblich auf einander gebaut sind.

Da wir uns noch auf dem rechten Ufer des Bitlis-Tschaï befanden, mußten wir zunächst ein felsiges Vorgebirge erklettern, das die ganze Stadt beherrscht. Dieses Vorgebirge trägt das alte Schloß der kurdischen Beys, das heute zu einem Konak oder einer Präfektur umgewandelt ist.[2] Hier wohnt auch der Wali, dem wir aus politischen Rücksichten zunächst einen Besuch machen und unsere Schreiben überreichen wollten, um alle Scherereien zu vermeiden. Der Tabur Agassi führte uns ein.

Der Wali ist ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Er verstand leider kein Französisch; zum Glück trafen wir bei ihm einen Levantiner, der den wichtigen Posten eines Brücken- und Straßeningenieurs versah, und der bereitwillig als Dolmetscher fungierte. Der Besuch verlief sehr angenehm, und der Wali stellte sich ganz zu unserer Verfügung. Als charakteristisches Merkmal des Besuches können wir anführen, daß der Wali uns Zigaretten anbot, aber eingeschmuggelte.

Es blieb uns jetzt noch übrig, eine Wohnung aufzusuchen. Sahto war mit einer braven armenischen katholischen Familie bekannt und führte uns zu ihr. Zu diesem Zwecke mußten wir auf das linke Ufer des Flusses kommen, was so viel bedeutete, als in der Hauptstraße von Bitlis ein schreckliches Hin- und Herfallen auszuführen, dem auf der anderen Seite der Brücke ein peinlicher Marsch durch die Gäßchen des Bazars folgte, und diesem ein nicht weniger konfuses Steigen. Darauf kamen wir zu einer Art langen Terrasse, wo wir denn auch endlich unser Logis entdeckten. Es liegt auf dem Wege nach Saïrd ganz am Ende und beinahe außerhalb der Stadt. Wir wurden ganz liebenswürdig empfangen und in einem großen Diwan einquartiert, der nur das eine Unbequeme hatte, daß er zu groß und infolge dessen auch ziemlich kalt war.

Da es kaum drei Uhr war, so trugen wir die Briefe des Dr. Reynolds zu den amerikanischen Missionaren. Wir wurden auch hier gut empfangen, aber mit

  1. Barb nach dem vierten Buche von Scheref. Phil. hist. Klasse der Kaiserl. Akad. der Wissenschaften in Wien. Juliheft 1859, 4.
  2. Ainsworth giebt die Höhe dieses Konaks mit 5470 Fuß nach den barometrischen Beobachtungen an, nach dem Hypsometer auf 5000 Fuß; der Durchschnitt betrüge also 5235 Fuß oder 1595 Meter. Ainsworth a. a. O. II. 372.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/248&oldid=- (Version vom 1.8.2018)