Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/249

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

liebenswürdiger Zurückhaltung, die diesen Herren eigen ist. Sie bedauerten, uns zum Diner für den kommenden Sonntag nicht einladen zu können, da die Sonntagsruhe sie daran verhindere. Die etwas zurückhaltende Unterredung lehrte uns nichts Neues.

2. Dezember.

Wir begannen den Tag, indem wir dem Gottesdienste in der kleinen Kapelle der katholischen Armenier beiwohnten. Kaum waren wir in unsere Behausung zurückgekehrt, als ein Adjutant des Walis erschien, um uns zu begrüßen und nach unseren Wünschen zu fragen. Da ich einige photographische Aufnahmen von der Stadt zu machen wünschte, bat ich den Offizier, uns einen Polizisten zur Verfügung zu stellen, um mich zu führen und die Menge zurückzuhalten.

Dann, o Wunder! erschienen die Amerikaner. Nach reiflicher Überlegung waren die Herren zu dem Entschluß gekommen, daß das Besuchen der Fremden, die nur einen Tag in Bitlis bleiben wollten, durchaus keine grobe Entheiligung der Sonntagsruhe bedeute. Da wir mit der allerdings etwas pharisäischen, unbeugsamen Strenge der amerikanischen Gebräuche bekannt waren, wußten wir den Herren aufrichtigen Dank, unserthalben eine Ausnahme gemacht zu haben.

Der bereits erwähnte Ingenieur und der Chef der Tabaksregie, beide aus Europa gebürtig, hatten uns zu dem Frühstück eingeladen. Die Mahlzeit war einfach, aber alles recht gemütlich. Diese beiden Herren haben selten Gelegenheit mit einem Europäer zu sprechen oder doch etwas von dem Ufer des Bosporus zu hören, dem Vorposten Europas. Sie befinden sich hier sozusagen im Exil. Auch sind sie gleichsam in der Stadt selbst interniert, da für einen hohen Beamten die Umgebung von Bitlis recht gefahrvoll ist; einen Spaziergang kann man ohne gehörige Begleitung nicht wagen. Was die Verwaltungsarbeiten betrifft, so handelt es sich eben meistens um die Trinkgelder bei den Geschäften; die Straßen unseres Ingenieurs existieren eben so wenig als die famose Straße von Wan nach Erserum. Und wie will der Chef der Tabaksregie die Interessen der Regie wahrnehmen, wenn der Wali sogar seinen Besuchern geschmuggelten Tabak anbietet? Übrigens machen sich die kurdischen Stämme auch nicht sehr viel aus den Monopolen, da sie kaum imstande sind, ihre Steuern zu entrichten.

Wir hatten in der Regie gefrühstückt; nahe bei derselben befindet sich ein alter Friedhof, von dem aus man eine herrliche Aussicht auf Bitlis hat. Hier habe ich auch eine Photographie[1] von Bitlis aufgenommen, dessen Lage nicht allein malerisch ist, sondern das auch durch die Bauart der Häuser ein ganz eigentümliches Gepräge erhält.

Hier ist keine Rede mehr von Häusern aus Erde wie in Wan. Die Gegend liefert vulkanische Steine im Überfluß.[2] Dieser braunrote Stein läßt sich im Augenblick, wo er aus der Steingrube kommt, ganz leicht bearbeiten, sogar noch

  1. Nach dieser Photographie hatte ich ein Aquarell anfertigen lassen, das aber durch den Schaden, den es auf der Reise erlitten hat, dem Künstler nicht die notwendigsten Angaben machen konnte; besonders fehlte die Aussicht in die Tiefe, die bei Bitlis so charakteristisch ist.
  2. Ich begreife nicht, wie Brant und Southgate (angeführt in Ritters Erdkunde X. 586) diesen Stein einen Sandstein nennen können.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/249&oldid=- (Version vom 1.8.2018)