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Schließlich weigern sich die vielleicht seit Jahrhunderten ihrer Krone beraubten Bäume, neue Schösse zu treiben; bis dahin haben sie allerlei knotige und phantastische Formen angenommen. Zur Seite dieser Veteranen steht die junge Welt: Eichen, Kastanien, Eschen, Lorbeerbäume, Maulbeerbäume und noch gar manche mir unbekannte Arten. Alles dieses wächst bunt durcheinander, hängt hier an den Felsen, kämpft dort gegen Schlingpflanzen, die mit einer Menge dorniger Sträucher ihm den Platz streitig machen wollen.

Gegen zehn Uhr wurden wir von einem höheren Offizier der Gendarmerie eingeholt, der sich in Begleitung eines Zabtiehs nach Saïrd begab, mit denen wir zusammen reisten.

Plötzlich sah ich, wie Gegu mit großer Sorgfalt seinen Karabiner untersuchte, einen Pfropfen Fett, den er zum Schutze gegen die Feuchtigkeit in denselben gesteckt hatte, herauszog und ihn mit einer Kugel lud. Ohne Zweifel hatte er ein Wild gesehen, weshalb ich nicht weiter auf ihn acht gab. Eine Stunde später bemerkten wir auf einem Felsen über dem Wege vier Kurden liegen. Sie waren mit Flinten bewaffnet, die sie in dem Augenblick, als wir in Schußweite kamen, sehr auffällig luden. Wir thaten dasselbe und setzten in kriegerischer Haltung unsern Weg fort. Sie hatten uns schon lange belauert, und Gegu hatte gesehen, wie sie sich nach dem Felsen begaben, der für sie von großem Vorteil war; aber diese Braven hatten nicht auf den Gendarmerieoffizier und seinen Zabtieh gerechnet, die unterdessen zu uns gestoßen waren. Diese Verstärkung war nicht nach ihrem Geschmack.

Ohne Unfall kamen wir am Fuße ihres Felsen vorbei und machten nicht weit von ihnen auf einem kleinen Grasplatze Halt. Unser Manöver zwang die Kurden, sich zu entscheiden. Sie entschieden sich für den Frieden und gingen an uns vorüber. Wir wünschten ihnen gute Reise; weil da der Ort ganz angenehm war, ließen wir uns nieder und luden den Offizier ein, unser Frühstück mit uns zu teilen.

Fünf Minuten später dachten wir nicht mehr an unsere Kurden; die Sorglosigkeit und der Zauber der Reise machten bald alle Gefahr vergessen.

Bald wird der Pfad immer gefährlicher, so daß man nur besonders gute Pferde gebrauchen kann; jeden Augenblick mußten wir absteigen.

Dieses enge Thal ist trotzdem noch eines der zugänglichsten in Kurdistan, weshalb auch früher der Handel durch das Thal bedeutend gewesen sein muß, wovon die zerfallenen Khane noch Zeugnis ablegen. Etwas weiter kamen wir zu den Resten einer Brücke, die ehemals das Thal überspannte, Sie bestand nur aus einem einzigen Bogen und konnte schon darum nicht dauerhaft gewesen sein.[1] Heute sind davon nur mehr einige lagen Steine übrig.

Endlich erreichten wir gegen drei Uhr nachmittags Dukhan. Eine Brücke führt über den Fluß, auf dessen gegenüberliegender Seite sich ein Khan befindet, die erste Wohnung, die wir an dem Tage antrafen. Der Khan war mit Soldaten angefüllt, die sich nach Bitlis begaben, und von denen viele krank waren. Für

  1. Mehrere Reisende zählen eine Zahl Dörfer auf, die auf diesem Wege lagen. Heute ist nichts mehr davon zu sehen. Wahrscheinlich lagen sie um die Khane herum. Vergleiche Ritters Erdkunde XI. 96–98.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/252&oldid=- (Version vom 1.8.2018)