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streckten die Beine vorwärts und, auf diese weise mit Strebepfeilern versehen, ließen sich nach dem Gesetze der zunehmenden Geschwindigkeit eines fallenden Körpers bis zum Ende des Abhanges hinabgleiten.

Auf der ganzen Strecke wächst der Wacholder massenhaft; auch trafen wir wieder eine unglaubliche Menge von Rebhühnern. Ohne Übertreibung kann ich doch sagen, daß wir mehr als zweihundert Stück derselben aufgescheucht haben. Ich war durch den Regen zu sehr verstimmt, um an die Jagd zu denken, und überließ Gegu diese Sorge. Er besitzt eine vollendete Wertigkeit im Erraten der Feldhühner, läuft bis zum Hintergrunde des Zuges gegen die Kette, duckt sich dann nieder, geht leise wie ein Hühnerhund voran und gelangt so in unmittelbare Nähe des Wildes.

Dieses Schukar-Feldhuhn ist bekanntlich größer als unser gemeines Feldhuhn; es hat einen roten Schnabel und rote Füße, einen schwärzlichen Federkragen und ziemlich buntes Gefieder; auch scheint mir seine Witterung viel stärker zu sein. Sein Fleisch ist vielleicht noch wohlschmeckender als das unseres Feldhuhns.

Der Tag war schon ziemlich weit vorgerückt, und noch immer sahen wir keine Spur von Saïrd; indes mußten wir dahin, wenn wir nicht noch einmal unter freiem Himmel übernachten wollten, weshalb sich auch jeder beeilte, so gut er konnte. Durch den Hunger ganz heruntergekommen – denn wir konnten wegen des anhaltenden Regens kaum etwas essen – vergaßen wir auch alle Vorsichtsmaßregeln, und selbst auf die Gefahr hin, sich zu verirren oder ausgeplündert zu werden, ging die ganze Karawane auseinander, zuweilen noch länger als ein Kilometer. Es fing an, dunkel zu werden, und wir sahen immer noch nichts, wenn nicht den Platzregen. Endlich sahen wir in der Ferne ein Licht glänzen, dann noch eins; eine Viertelstunde später waren wir glücklich in Saïrd.

Jetzt mußten wir die Missionare aufsuchen, was uns um so schwerer fiel, als niemand mehr auf der Straße war und keiner uns führen konnte.

Wir irrten in den engen Gäßchen umher, stießen bald hier an die Strohdächer des Bazars, stolperten bald dort und fielen in den Schmutz der Gassen. Mit vieler Mühe entdeckten wir die Wohnung der Missionare. Pater Defrance und Pater Crosnier erwarteten uns nicht mehr an dem Tage.

5. Dezember. Ankunft 8 Uhr 10 Minuten.

Das ganze Gepäck war durchnäßt, und wir waren sehr glücklich, daß wir uns und unsere Kleidungsstücke trocknen konnten. Unter dem gastlichen Dache der Missionare verfloß uns die Zeit rasch in angenehmer Unterhaltung mit den Missionaren und vornehmen Christen der Stadt.

Saïrd liegt so ziemlich in der Mitte zwischen Mosul und Wan; bei gutem Wetter kann jede dieser Städte in ungefähr acht Tagen zu Huß erreicht werden.

Die Lage der Stadt ist sehr angenehm. Die Stadt erhebt sich stufenförmig an den Seiten eines Hügels, der sie von dem Rohtan-Su trennt. Um Saïrd herum senken sich die Hügel zu einem weiten Thale, dessen Wasser in den Khaser-Su fließt, einen Zufluß des Bohtan-Su. Das Klima der Stadt soll sehr gesund sein.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/256&oldid=- (Version vom 1.8.2018)