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vierzig Piaster ausstellt; die überschießenden sechszig Piaster sackt der Steuerempfänger selbst ein. Der Steuerpflichtige wagt keinen Widerspruch, weil der Beamte ihn sonst mit seinem Gelde zurückschicken, aber ihn wegen Verweigerung der Steuern verfolgen ließe, was gleichbedeutend ist mit Gefängnis und Konfiskation. Der Steuerpflichtige geht also mit seiner Quittung heim. Einige Tage später wird er aufgefordert, die rückständigen sechzig Piaster zu entrichten, was er dann auch thut; dafür erhält er nun eine Quittung über dreißig Piaster. Dieses traurige Schauspiel dauert so lange, bis der Steuerpflichtige eine Quittung über hundert Piaster empfangen hat, wofür er freilich das Doppelte oder Dreifache hat zahlen müssen.

In diesem Falle hatten wir noch den günstigen Umstand angenommen, daß der Steuerpflichtige in der glücklichen Lage war, das nötige Bargeld zur Hand zu haben. Aber da das Bargeld bekanntlich sehr selten in jener Gegend ist, fehlt es dem Steuerpflichtigen gewöhnlich gerade dann, wenn er Steuern bezahlen soll; nun kommt der Gendarm. Dies ist eine neue Quelle für Ausgaben; denn um Zeit zu gewinnen, muß der Steuerpflichtige sehen, wie er mit dem Gendarmen fertig wird.

In dem ruinierten Bohtan wurden schließlich keine Steuern mehr entrichtet, auch die Gendarmen genügten nicht mehr. Da wurde das Militär geschickt; man ergriff Geräte, Möbel, Herden und machte sie zu Geld, freilich oft zu lächerlichen Preisen. Dadurch war der Schaden zwar weniger groß, aber das Land ist unrettbar ruiniert, und die Anwesenheit der Truppen kennzeichnete sich zudem noch durch beständige Verbrechen gegen die Sittlichkeit.

Bis jetzt sprach ich nur von dem Zehnten; aber der Staat hat nun auch noch eine Grundsteuer von vier pro Mille eingeführt. Man hat gesehen, daß Grundstücke, die dem Staate selbst für 3000 Piaster verkauft wurden, in den Steuerrollen mit einem Werte von 175 000 Piastern eingetragen und dementsprechend auch eingeschätzt waren. Die Aghas oder Chefs, die von dem Gouvernement ausgebeutet werden, halten sich an dem armen Bauern schadlos, dem sie noch willkürlich eine Naturalabgabe von der Ernte auferlegen.

Die unglücklichen Einwohner wollten in Mengen dieses Land verlassen, um ihr Glück sonstwo zu suchen; aber sie wurden mit Gewalt zum Bleiben gezwungen.

Angenommen, durch irgend einen glücklichen Zufall gelangt ein armer Teufel in den Besitz einer kleinen Summe Geldes, so kann er aber versichert sein, daß man tausenderlei Schikanen erfinden wird, um ihm das Geld abzunehmen; er wird für die geringste Ursache zum Baladiet (Bürgermeisteramt) gerufen werden, wobei er aber jedesmal ein ordentliches Backschisch abladen muß.

Ungeachtet der weiten Entfernung des Landes ist die trostlose Lage des Bohtan endlich erkannt worden; auch hat man in Konstantinopel lebhafte Klage geführt. Infolgedessen liefen auch sehr sorgfältige Berichte ein, die aber auch ganz sorgfältig in den Papierkorb wanderten. „Eine Krähe hackt der andern kein Auge aus.“

Letzthin hat in Bitlis ein Mensch dem Wali eine Extragabe von achthundert Piastern gemacht, um den Auftrag zu bekommen, dreihundert Piaster Steuern zu erheben. Diese einzige Sache ist schon bezeichnend genug.

Alle Stellen werden an den Meistbietenden verkauft, der sich an den Steuerpflichtigen dann wieder schadlos hält.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/259&oldid=- (Version vom 1.8.2018)