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Ehe wir in Mansuriyeh ankamen, mußten wir das Delta des Tschamseitun (Wasser der Olivenbäume) durchwaten; dies Delta ist aus sechs Kanälen zusammengesetzt, in denen das Wasser lebhaft fließt. Das Thal scheint sehr bedeutend, und ich bin fest überzeugt, daß der Fluß einen längeren Lauf hat, als Kiepert auf seiner Karte anzeigt.

Mansuriyeh ist ein großes, beinahe ganz chaldäisches Dorf, das hoch oben an einem Felsvorsprung hängt, der senkrecht zum Tigris abfällt, Vom Tschamseitun ist es nur eine halbe Stunde entfernt.

12. Dezember. Ankunft 5½ Uhr abends.

Es war für uns nach den Regengüssen der letzten Tage eine angenehme Empfindung, einmal bei herrlichem Wetter reisen zu können.

Aber dieser Tag war nur ein freundlicher Lichtblick; denn gegen elf Uhr des Abends bedeckte sich der Himmel von neuem mit flockenartigen Wolken von verdächtigem Aussehen, und am folgenden Mittag begann wieder ein Platzregen. Da der chaldäische Pfarrer ausgesagt hatte, daß wir bis Dschesireh nur mehr eine Stunde hätten, so hatten wir auch keine große Eile, zumal wir noch immer hofften, das Wetter würde besser werden.

Während dieser Zeit machten wir eine weitere Bekanntschaft mit dem Süden oder vielmehr mit seinem Ungeziefer. Als wir des Abends in Mansuriyeh anlangten, hatten wir sofort unsere Unaussprechlichen auf zwei Mehltrögen zum Trocknen ausgebreitet; am andern Morgen fanden wir sie zu unserm Erstaunen buchstäblich mit länglichen, ziemlich dicken Insekten von weißlichem Aussehen bedeckt. Man sagte uns, es seien Hühnerläuse. Rasch wurde eine Jagd nach allen Regeln der Kunst veranstaltet, wobei uns die Leute mit großem Erstaunen zusahen, als ob sie nicht begreifen könnten, wie diese harmlose Tierchen uns in eine solche Aufregung versetzen konnten.

Abreise 8½ Uhr.

Da der Himmel sich nicht aufklären wollte, entschieden wir uns endlich für die Abreise. Nach anderthalbstündigem Marsch erreichten wir bei strömendem Regen, und selbstverständlich bis auf die Haut durchnäßt, den zerstörten Khan, der an einer Felsenklippe Dschesireh gegenüber liegt.[1]

Dschesireh, das auf dem rechten Ufer des Flusses liegt, war früher durch eine Brücke, wovon aber kaum noch eine Spur zu sehen ist, mit dem linken Ufer verbunden; eine kleine Strecke unterhalb der Stadt überspannte eine zweite große Brücke den Fluß; davon stehen noch einige Bogen. Heute geschieht die Verbindung durch eine Schiffbrücke. Wenn aber der Fluß ein wenig steigt, fährt man die Brücke vorsichtshalber ans Ufer, wie es auch damals geschehen war. Wie sollten wir in die Stadt kommen? Von einer Fähre war keine Spur, und die Barke, die, wie man uns sagte, das Übersetzen der Leute besorgen sollte, war vollständig unsichtbar. Wir konnten auch nicht weiter, da wir keine Lebensmittel mehr hatten, auch unsere Zabtiehs wechseln mußten und vor allem uns gerne trocknen wollten. Wir schrieen, feuerten Flintenschüsse ab, alles war umsonst. Wir mußten uns also

  1. Die Kiepertsche Karte ist betr. der Strecke von Saïrd nach Dschesireh sehr mangelhaft.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/271&oldid=- (Version vom 1.8.2018)