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studiert. Viele von ihnen sprechen die eine oder andere europäische Sprache, so daß es leicht ist, sie näher kennen zu lernen.

Der Kurde ist das Gegenteil davon, nämlich ein verschlossenes Wesen; als Brigant gehört er nicht zu den Leuten, die man gerne besucht. Er selbst liebt es nicht, in Beziehung zu Fremden zu treten, um stets freie Hand zu haben.

Von dem Ursprung der Kurden kann ich nicht sprechen, da die Meinungen darüber sehr geteilt sind. Ich glaube zwar, daß man die Kurden kühn als ein Mischvolk aus verschiedenen Rassen betrachten kann.

Vor allem ist der Kurde Straßenräuber; infolgedessen besitzt er auch alle Eigenschaften und Mängel, die dieses Handwerk mit sich bringt. Solange nicht ein Reisender offizieller Gast der Kurden ist, bleibt er in den Augen des Kurden ein verdächtiges Wesen, eine gute Beute zum Ergreifen, und in diesem Falle macht sich der Kurde nichts daraus, Täuschung anzuwenden und seinen Meineid durch doppelsinnige Erklärungen zu beschönigen. Ist er aber einmal als Bundesgenosse gewonnen, so ist der Reisende in dem ganzen Gebiete des betreffenden Stammes in Sicherheit. Aber die menschliche Natur ist zuweilen schwach; die Gesetze der Gastfreundschaft sind dem Kurden nur in dem Gebiete seines Stammes heilig, und man hat Beispiele zu verzeichnen, daß ein Kurde einen Abstecher in ein benachbartes Gebiet machte, um daselbst den auszuplündern, den er Tags vorher unter seinem Dache beherbergt hatte.

Der Kurde ist Mohammedaner, zeigt aber für seine Religion wenig Eifer.

Der Rang, den die Frau in der kurdischen Familie einnimmt, ist ein Zeugnis, das sehr zu Gunsten dieser Rasse spricht; es beweist nämlich, daß der Islam es noch nicht vermocht hat, einen gewissen Fonds von Anstand und moralischer Reinheit zu vernichten.

In physischer Einsicht sind die Kurden schön gebaut; sie haben regelmäßige Züge, zuweilen sogar ein beinahe griechisches Profil. Gewöhnlich tragen sie Schnurrbärte, bloß die alten Leute lassen den ganzen Bart stehen. Ihre Kleidung ist sehr einfach; sie braucht nicht eingehend beschrieben zu werden, denn die Illustrationen in diesem Werke zeigen dieselbe zur Genüge. Ehemals waren ihre Angriffswaffen Bogen, Wurfspieß, Lanze und Keulen; heute haben sie noch die Lanze beibehalten und den kleinen runden Schild aus Büffel, oder Elefantenfell; der Bogen ist ersetzt worden durch ausgezeichnete Flinten, oft durch ganz moderne Karabiner, die freilich alle eingeschmuggelt worden sind. Die Hirten tragen noch die Keule, die in ihren Händen eine gefürchtete Waffe ist. Von dem Dolche braucht man nicht zu sprechen, da er von dem Kurden unzertrennlich ist.

Die Reisenden, welche die Kurden ganz in der Nähe studiert haben, teilen dieselben in zwei Kategorien: Assireten und Guranen. Die ersteren bilden die Kriegerkaste, sind rauh von Sitten und Gebräuchen. Die Guranen sind friedlicher, treiben gewöhnlich Ackerbau und bilden in jedem Stamm einen untergeordneten Klan unter der Herrschaft der Kriegerkaste. Wir sind nicht lange genug bei dieser Völkerschaft gewesen, um ein Urteil über die Richtigkeit dieser Einteilung abgeben zu können.

In geographischer Hinsicht hat die Herrschaft der Kurden keine bestimmten Grenzen, was nur eine natürliche Folge des halb-nomadischen Charakters der meisten Stämme ist; überall vermischt sich das Kurdische mit der Eigentümlichkeit

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/283&oldid=- (Version vom 1.8.2018)