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Anmerkung des Übersetzers: Zur Untersuchung der traurigen Vorgänge, die sich Ende des vorigen und Anfangs dieses Jahres im Norden und Nordosten des Vilajets Aleppo ereigneten, insbesondere der Nachrichten über zwangsweise Bekehrungen zum Islam und Umwandlung christlicher Kirchen in Moscheen, wurde auf Anregung der englischen Botschaft eine türkische Untersuchungs-Kommission an Ort und Stelle gesendet. In Folge einer von allerhöchster türkischer Stelle ergangenen Einladung hat die englische Notschaft ihren Konsularbeamten G. K. Fitzmaurice zu dieser Untersuchungskommission delegiert. Letzterer ist nun vor kurzem wieder in Konstantinopel eingetroffen, und es wurden allen Botschaften gedruckte Kopien seiner Berichte über Biredschik vom 5., Urfa vom 16., Adiaman vom 25. und 26., Behensni vom 27. März und Aleppo vom 9. April übergeben. Gleichzeitig hat, wie bereits gemeldet wurde, die englische Botschaft bei der Pforte entsprechende Schritte bezüglich der zwangsweisen Bekehrungen zum Islam unternommen, welche Aktion auch von allen übrigen Botschaften unterstützt worden ist.

Aus den Berichten des Konsuls Fitzmaurice wären folgende Angaben hervorzuheben:

In Biredschik (Mohammedaner 1400, Christen 240 Häuser) mußten die Armenier Anfang Dezember alle Waffen abliefern. Am 1. Januar 1896 erfolgte der Sturm des Pöbels auf das christliche Viertel, wobei über 150 Armenier getödtet, über 60 verwundet, die Häuser geplündert und niedergebrannt und alle Kirchen entweiht wurden. Gegen Abend wendete sich der Pöbel gegen die Häuser, wo die verfolgten Armenier bei barmherzigen Türken Schutz gefunden hatten. Die Bande zog erst ab, als auf einem Dache eine Armenierin erschien und erklärte, daß alle ihre Glaubensgenossen freiwillig zum Islam übertreten. Die Armenier verwandelten hierauf ihre Kirche in eine „Hamidieh Moschee“, und etwa 1500 Armenier sind so auf diese Weise Mohammedaner geworden. Die Christen von Surudsch flohen nach Urfa, die von Ehnesck (70 Häuser), von Dschibin (50 Häuser) und Nisib (40 Häuser) sind auch zum Islam übergetreten. Der in Biredschik angerichtete Schaden wird auf 10000 LT geschätzt.

Das Blutbad in Adiaman (11000 Mohammedaner, 4000 Christen) begann am 7. November und dauerte 3 Tage. Es wurden 410 Personen, zumeist Männer, niedergemacht. Bei der Plünderung und Brandstiftung wurden 100 Häuser verwüstet, 70 niedergebrannt und die Kirchen der Gregorianer, Katholiken, Syrer und Protestanten entweiht. Der Schaden beziffert sich auf 70000 LT. In Severek, Vilajet Diarbekr, wurden am 2. November von den 1500 erwachsenen Christen 800 ermordet und das Christenviertel geplündert.

Am fürchterlichsten aber hat der Fanatismus in Urfa gewütet. Die dortige Bevölkerung besteht aus etwa 40000 Mohammedanern und 25000 Christen. Den Anlaß zu den beiden Massacres vom 28.–29. Oktober und 28.–29. Dezember 1895 boten einige Armenier, die sich durch ihre Erbitterung über die Nichteinführung der zugesagten Reformen zu revolutionären Handlungen hinreißen ließen. Infolgedessen wurden alle Armenier zu Verrätern gestempelt. Am 27. Oktober v. J. forderte der Armenier Boghos den Mohammedaner Ismail in dessen Hause auf Begleichung einer Rechnung. Dieser wies ihm die Thür und stach ihn Tags darauf in der Nähe der Hauptkirche auf offener Straße nieder. Der Mörder wurde verhaftet und auf die nächste Wache geführt. Nach türkischer Version sollen nun die Armenier die Wache angegriffen und Ismail tötlich verwundet haben. Die Armenier dagegen behaupten, die Zabtiehs hätten beabsichtigt, den Mörder entwischen zu lassen, worauf ihre Glaubensgenossen in das Wachthaus gedrungen seien und seine Abführung in den Konak verlangt hätten. Bei dem hierauf erfolgten Handgemenge sei nun Ismail verwundet worden und auf dem Transport zum Konak gestorben. Ein armenischer Arzt, der Bajonnetwunden konstatierte, wurde vom Gendarmeriemajor niedergeschossen, seine Leiche durch die Straße geschleift, in Stücke gehauen und in einen Graben geworfen. Am 28. Oktober erfolgte im Bazar ein Überfall des Pöbels auf die Armenier und später ein Angriff auf das armenische Viertel, der aber zurückgewiesen wurde. Die Mohammedaner verloren hierbei 4–5, die Armenier 27 Tote. Darauf wurden 700 armenische Läden und 190 Häuser vom Pöbel geplündert und in Asche gelegt. Nach diesen Vorfällen wurden alle außerhalb des armenischen Viertels angetroffenen Armenier niedergemacht, das armenische Viertel aber zwei Monate lang vom Pöbel geradezu belagert. Der armenische Bischof, der hierüber telegraphisch nach Konstantinopel berichten wollte, wurde verhaftet, am 29. Oktober kehrte der Mutessarif Hassan Pascha von einer Inspektion zurück und verlangte die Auslieferung von 1800 Martinigewehren, die sich in den Händen der Armenier befänden, zugleich kleidete er 1000 Mann als

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/304&oldid=- (Version vom 1.8.2018)