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eines moralischen Übergewichts Trotz zu bieten; natürlich ist diese Eitelkeit zu gleicher Zeit eifersüchtig und reizbar. Der Orientale nimmt alle Belehrungen und Ratschläge an, aber unter der Bedingung, daß die Nächstenliebe ihm gleichsam zu gesteht, daß er die Belehrungen erraten hat, daß er statt des Schülers sozusagen der Lehrer ist, und daß man die Ratschläge gleichsam bei ihm sucht, anstatt sie ihm zu erteilen. Da man in derselben Zeit aber auch fest und energisch gegen den Orientalen sein muß, so wird jeder begreifen, daß eine solche Methode sehr viele Schwierigkeiten bietet. Aber – die Sache ist sehr bezeichnend – dieselben Schwierigkeiten und vielleicht noch größere, finden sich auch bei einem andern Volke, das trotz der unerhörten Macht der Ausdehnung seiner inneren Kräfte einem Volke in der Kindheit ähnlich gemacht wird, nämlich bei den Japanesen. Auch mit dem Japanesen ist nichts auszurichten, wenn man diesen psychologischen Merkwürdigkeiten, die eben hier erwähnt wurden, keine Rechnung trägt.

Der Orientale hat noch einen Fehler, der ebenfalls eine Folge der Unterdrückung ist, nämlich er versteht sich durchaus nicht auf die rechte Verwendung des Geldes. Leute, die gewöhnt sind nach Belieben geplündert zu werden, haben bloß zwei Manieren, mit Geld umzugehen: entweder sie vergraben es, oder sie geben es so rasch als möglich wieder aus. Diese beiden Gewohnheiten sind ihnen in das Blut übergegangen und finden sich sowohl in dem Privat- als auch in dem öffentlichen Leben.

Da wo ein Abendländer, der über ein kleines Kapital verfügt, irgend ein solides Werk errichtet, z. B. eine Kirche baut, kommt der Orientale, und wenn er eine fünfmal größere Summe besitzt, höchstens damit aus, um die Fundamente zu legen – einzig aus dem Grunde, weil er, sobald er das Geld in den Fingern hat, es auch vergeudet, um etwas Großes zu errichten, das er freilich nicht bis zur Vollendung bringt.

Der Orientale kommt aber nicht so weit; die Ursache dieses Kontrastes ist in seinen eigenen Fehlern zu suchen. Gar leicht ist er geneigt anzunehmen, daß die Abendländer bei dem bessern Gelingen ihrer Unternehmungen über ungezählte Reichtümer verfügen. Diese Art bildet eine Gefahr; denn oft, wo der Orientale sich in seiner Eitelkeit verletzt fühlt, zieht er sich nicht zurück, sondern hält mit dem Abendländer und wahrt noch immer den Schein der Freundschaft, wo doch das Band der Zuneigung und des Vertrauens zerrissen ist; es bleibt dann nur mehr das Band des Interesses, das aber sorgfältig verheimlicht wird, und der Orientale sieht dann in dem Europäer nur mehr seinen „Bankier“, von dem er irgend welchen Nutzen zu haben hofft. Hierin liegt auch die Erklärung für so manchen schmerzlichen Abfall; es ist das auch ein Grund des schlechten Standes der protestantischen amerikanischen Mission, denn diese verfügt über zu große Geldmittel.

Wir Katholiken tadeln zuweilen an den Orientalen, daß sie nicht katholisch genug sind; dieser Tadel, den wir nicht genauer angeben und begründen, macht uns aber oft ungerecht.

In dem Maße, wie sich die Kirche entwickelte, schufen die geographischen, ethnographischen und historischen Verhältnisse besondere Zusammenstellungen. Rom blieb das Zentrum und der Papst der oberste Hirte; aber man hatte z. B. das Patriarchat von Alexandrien mit seiner bestimmten Sphäre, das Patriarchat von

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/307&oldid=- (Version vom 1.8.2018)