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Antiochien mit der seinigen. In den weiter entfernten Ländern hatte man Nationalkirchen, die durch ihre liturgische Sprache isoliert waren und die mit dem einen oder andern großen Zentrum verbunden wurden. Endlich kam noch das Patriarchat von Konstantinopel, dessen gesetzliche Gründung sehr zweifelhaft ist; von Anfang an war es ein Nebenbuhler Roms, bald ein gefährlicher Separatist, und zuletzt wurde es schismatisch.

Überall im Orient war die Evangelisation ein Werk der verschiedenen Zentren. Der Christ verkehrte nur mittelbar (durch diese Zentren) mit Rom. Der Ritus, die liturgische Sprache, die gewöhnliche kirchliche Verwaltung, alles trug einen besondern eigentümlichen Charakter. Waren die Christen darum weniger gute Katholiken? Gewiß nicht; aber dieser Stand der Dinge barg doch mancherlei Gefahren in sich.

Im Abendlande ging die Bekehrung dagegen von Rom aus;[1] diese lokalen Gruppierungen existierten entweder gar nicht, oder wo sie existierten, wie in der fränkischen Kirche, wurden sie beständig modifiziert. Da wo diese Gruppierungen, wie in Spanien, solid waren, war die liturgische Sprache dieselbe wie in Rom und der Ritus (einige Eigentümlichkeiten abgerechnet) derselbe wie in Rom. Man kannte aber im Oriente kein wirklich mächtiges Zentrum, das als Vermittler zwischen den einzelnen Partikularkirchen und Rom dienen konnte. Der Papst war zugleich Oberhaupt der Kirche und Patriarch des Abendlandes, kam also auf zweifache Weise mit den abendländischen Völkern in Berührung; für die Abendländer gab es nicht nur keine Differenzen zwischen ihren Patriarchen und dem Oberhaupt der Kirche, sondern auch die liturgische Sprache, die Geschichte, der Ritus waren überall dieselben. Es gab deshalb im Abendlande nur eine Anhänglichkeit, nämlich die an Rom.

Dieser Sachverhalt hat einen mächtigen Einfluß auf das religiöse Leben der Abendländer ausgeübt; nicht allein hat er den dogmatischen Wert der Union mit dem Zentrum erhalten, er hat auch auf die Lebenskraft und die Glaubensbegeisterung der Europäer mächtig einwirken müssen.

Kann man, wenn man der Sache auf den Grund geht, von den Orientalen dieselbe Wärme, dieselben Formen in dem Ausdruck ihres Katholizismus verlangen? Billig nicht; dies hieße die Rolle der historischen Faktoren unterdrücken, um alles von dem doppelten orientalischen Loyalismus niederzureißen. Es wäre dies aber auch nicht ratsam, weil dadurch eben etwas Unmögliches erstrebt würde. Daß dieser doppelte Loyalismus seine Gefahren hat und in der Kirchengeschichte manche schmerzliche Seite angefüllt hat, wird niemand leugnen können; aber diese Geschichte hat beinahe auf jeder Seite traurige Erscheinungen zu verzeichnen.

Einer der merkwürdigsten Charakterzüge dieser Nationalkirchen war der Widerstand den mohammedanischen Eroberern gegenüber. Wenn auch die meisten im Augenblick der Eroberung schismatisch waren, so wurde aber ihr religiöses Leben gleichsam national. Die Besorgnis, der Streit um ihre Existenz gruppierte bald alle Kräfte um den Katholikos, den Patriarchen. Dieser wurde den Eroberern gegen über eine bedeutende Persönlichkeit, gleichsam das Oberhaupt des Stammes; er repräsentierte seine Nation. Die Eroberer hatten allen Grund, ihn innerhalb einer gewissen Grenze zu verschonen und sich so durch seine Vermittlung die Unterwerfung

  1. Siehe Duchesne, Origines du cult chrétien.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)