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begnügte. Um hinaufzugelangen hat man aber eine sonderbare Linie angelegt. Jede Windung, die imstande wäre, die Steigung zu vermindern, ist vermieden worden; geradenwegs führt das Geleise zur Höhe. Deshalb ist die Steigung auch ganz ungeheuer. Die angebrachten Tafeln geben zwar eine Steigung von 2,9 bis 4,5 % an; aber ein Ingenieur hat uns versichert, daß diese Angaben nur den Zweck hätten, den amtlichen Vorschriften zu genügen, übrigens alle falsch seien, da die Steigung bedeutend stärker sei. Man konnte dies auch ohne Mühe einsehen. Bis Bejatuvani genügte eine Lokomotive nach System Fairlay, um den Zug zu schleppen. Hinter dieser Station wurde eine zweite Doppellokomotive an das Ende des Zuges gehängt. Trotz dieser Verstärkung kamen wir aber so langsam voran, daß ein Reisender während der Fahrt ganz gemütlich aus dem Wagen klettern konnte.

Diese fremden Lokomotiven mit ihren gewaltigen, kegelförmigen Schloten machen bei ihrem Pusten durch die schmale Schlucht des Flusses einen sonderbaren Eindruck. Durch die allzugroße Langsamkeit, die bei der gewaltigen Steigung unüberwindlich ist, sowie den allzugroßen Verschleiß an Material und die ungeheueren Unterhaltungskosten sind die Russen zu dem ersten Projekte zurückzukehren gezwungen worden. Sie bauen jetzt durch den Berg einen Tunnel, der zwar das härteste Gestein umgeht, wodurch aber auch gleichzeitig das Interessante der Fahrt verloren geht. Wir erreichten den Gipfel mit Einbruch der Nacht und langten anderen Morgens gegen zehn Uhr in Tiflis an.

Obgleich die russischen Eisenbahnwagen an Bequemlichkeit den amerikanischen parlor-cars nachstehen, so verdienen sie doch den Vorzug vor den in Westeuropa gebräuchlichen, wo der Reisende nur ein Gefangener ist, und wo auf die einfachsten natürlichen Bedürfnisse fast keine Rücksicht genommen wird. Von beiden Seiten der Wagen bei den russischen Eisenbahnen gelangt man in einen kleinen Gang, der sich an der Seite hinzieht und die ganze Länge einnimmt. Auf dem Gang münden die Abteile oder Zimmer, in deren jedem sich vier Reisende nach Belieben einrichten können. Zur Nachtzeit verwandelt sich jeder dieser Räume in einen Schlafsaal mit vier Betten. Der Russe reist stets mit seinem eigenen Bettzeug, weshalb die Bahnverwaltung mit dieser Sache nichts zu thun hat. An beiden Enden des Wagens befinden sich zwei Klosets. Um die Wahrheit zu sagen, darf nicht verschwiegen werden, daß die Unterhaltung der Wagen ein wenig zu wünschen übrig läßt. Auf den Stationen sind die Büffets gut ausgestattet, aber bald geplündert. Jeder muß sich das Gewünschte selbst holen, an die Wagen wird nichts gebracht.

In Tiflis begann für uns eine Reihe von Mißgeschicken. Von Kutais aus hatten wir Serghius vorangeschickt, um uns ein Unterkommen zu suchen. Unser Absteigequartier glich aber eher einer Rumpelkammer als etwas Anderem. Wir wurden von den Wanzen zerfleischt und konnten von dem wilden Eigentümer durchaus nichts bekommen. Am folgenden Morgen siedelten wir zu dem anderen Ende der Stadt an dem Ausgang nach Alexanderdorf um, kamen aber von dem Regen in die Traufe. Aus dem Hundestall kamen wir in ein erbärmliches Kaffeehaus. Endlich machten wir der Sache dadurch ein Ende, daß wir uns im Mittelpunkt der Stadt im Kaukasus-Hôtel niederließen, was wir von Anfang an hätten thun sollen.


Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)