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Zur Zeit seiner Blüte[1] zählte es dreihundert Zellen – nach der Sage waren es dreitausend – die alle in den Felsen eingehauen waren und mit der Kirche durch an den Seiten des Felsens hergestellte Terrassen in Verbindung standen. Heute ist der größte Teil dieser Zellen eingestürzt, aber auf dem ganzen Umfang des Amphitheaters von Felsen sieht man noch ihre Spuren.

Dieser menschliche Bienenstock ist beinahe ganz verlassen; bloß einige Mönche bewohnen noch die Grotten und besorgen den Gottesdienst in der Kirche, wo eine ganze Reihe chaldäischer Patriarchen ruht, nestorianische oder katholische.

Zwischen den Zellen rufen die Rebhühner; in der Ferne verliert sich der Blick auf der weiten Ebene von Mosul; diese Einsamkeit hat allerdings in einem größeren Maßstabe mit dem Sagro Speco de Subiaco Ähnlichkeit.

Die Mönche boten uns eine frugale Mahlzeit an in ihrem Refektorium, einer großen Grotte, welche die Zeit ganz geschwärzt hat.

31. Dezember 1888. Abreise 7 Uhr des Morgens.

Wir hatten halb die Absicht, uns nach Mar-Yakub zu begeben, einem Dominikanerkloster bei Dehok; aber des regnerischen Wetters wegen zogen wir es doch vor, nach Mosul zurückzukehren und dort das Neujahrsfest zu feiern.

Der Weg folgt lange Zeit einem eingeschlossenen Thale, gelangt dann in die Ebene und führt durch die chaldäischen Dörfer Tell-Uskof[2] und Tell-Keif; das Terrain dieser Ebene ist in große, wellenförmige Erhebungen gefaltet, deren Achse sich gegen den Tigris richtet.

Jedes Dorf hat seinen künstlichen Weiher, in den das Regenwasser fließt; man zieht sogar dieses Wasser zum Trinken dem der Brunnen vor, das mehr oder weniger salzig ist.

Alle Leute feiern den Sylvestertag – hier folgt man unserm gregorianischen Kalender – und in den Dörfern spazierten die Leute in ihren besten Kleidern auf den öffentlichen Plätzen umher.

1889.
1. Januar !889.

Es ist ungemein wohlthuend, an einem solchen Tage in einem Kreise von Freunden Glückwünsche wechseln zu können, die auf einer Reise wie der unserigen nicht mehr den banalen Beigeschmack der bloßen Höflichkeit besitzen.

Am 1. Januar sangen die Dominikaner ein „Konsuls-Hochamt“; der Konsul wird feierlich am Portale empfangen und zu seinem Betstuhle geleitet wie ein Vice-König. Im Augenblick seines Eintrittes las ich gerade Messe; als plötzlich von

  1. Das Kloster wurde gegründet im Anfang des fünften Jahrhunderts; die chaldäischen Patriarchen haben sich lange Zeit hier aufgehalten, nachdem sie Baghdad verlassen hatten. Annales de la Prop. de la Foi V. 244.
  2. Bei Erwähnung von Tell-Uskof erzählt Oppert (Exp. de Mésop. I. 66) folgende Anektode:
    Plötzlich erinnerten sich einige Familien der alten assyrischen Könige; eine junge Frau aus dieser Gegend hat (besonders in England) viel Geld damit verdient, daß sie sich als Nachkomme Sennacheribs und Sardanapals zeigte. Sie hatte sich in Paris Visitenkarten in französischer Sprache anfertigen lassen, worauf stand: „Maria T. E. Prinzessin von Assyrien.“
    So unglaublich die Sache auch scheint, so fanden sich doch Personen, die sie als Prinzessin aufnahmen und sich für dieselbe interessierten.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/318&oldid=- (Version vom 1.8.2018)