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den Seminaristen die Hymne der Girondins erklang, konnte ich mich einer tiefen Bewegung nicht erwehren. Es war dies ja nur eine prunkhafte Herrlichkeit; aber sie stimmt doch merkwürdig und weckt eine Menge Gedanken, an die der Geist nach einem monatelangen Reisen in voller Wildnis nicht mehr gewöhnt ist.

Unsere Abreise nahte; der Kellek war vollständig auseinander genommen; ein braver Chaldäer,[1] der das Vertrauen der Mönche besitzt, überwachte die Verstellung einer neuen, vollkommeneren Wohnung; das Floß sollte größer werden und unser Haus ebenfalls, da es auch ein Zimmer für unsere Leute erhalten sollte, wie es denn auch geschah.

Einen Hammel, eine Gans, zwei Hühner, einen beträchtlichen Vorrat an Brot, Reis und Kohlen mußten wir mitnehmen; denn zwischen Mosul und Baghdad ist wenig zu haben. Bei Hochwasser fliegt der Kellek pfeilschnell stromabwärts, aber bei dem mittleren Wasserstand im Januar kann die Zeit der Reise doppelt so lang dauern, und ein widriger Wind kann uns sogar zwingen, mehrere Tage ruhig vor Anker zu liegen. Deshalb mußten wir uns vorsehen.

Im Augenblick des Hochwassers[2] kann man zuweilen Araber sehen, die auf einem oder zwei gefüllten Schläuchen sitzen und auf diese Weise schwimmend Baghdad in zwei Tagen erreichen.

Während die Vorbereitungen zu unserer Abreise ihrem Ende entgegen gingen, machten wir unsere Abschiedsbesuche.

Ich will hier noch einige Aufschlüsse und Beobachtungen einfügen, so wie sie in meinem Reisejournal verzeichnet sind.

Mosul ist eine in der Civilisation vorgeschrittene Stadt, da sie mit Petroleumlampen erleuchtet ist. Die Zahl der Lampen ist zwar bescheiden; aber die Einrichtung ist doch da, und Mosul ist glücklicher als Wan, wo man dieselbe Beleuchtung angebracht hatte. Aber in Wan verschwand eine Lampe nach der andern, und die Zabtiehs waren die ersten, welche die Cylinder der Lampen für sich in Beschlag nahmen.

Verschleierte Frau von Mosul.

Es giebt wohl nichts, was komischer aussieht, als eine Frau auf der Straße in Mosul. Anstatt des großen Schleiers, der im ganzen Orient sehr verbreitet ist, tragen sie in Mosul ein Gitterwerk von Holz, das an der Stirn befestigt ist und die ganze Figur verhüllt; man kann sich nichts Häßlicheres denken.[3]

  1. Dieser Chaldäer ist wirklich ein Mann, der das geschenkte Vertrauen verdient, er ist ein Faktotum, dessen interesselose Ergebenheit erwähnt zu werden verdient.
  2. Gewöhnlich haben die Regenmengen des November ein beträchtliches Anwachsen des Tigris zur Folge, wonach das Niveau des Flusses ziemlich veränderlich bleibt bis zu der Zeit, wo die eintretende Kälte die meisten Nebenflüsse in den kurdischen Bergen gefrieren macht. Gegen die Mitte des Monats März tauen die Flüsse auf, und der Tigris wächst wieder, bis er gegen Ende Mai seinen höchsten Stand erreicht. (In diesem Augenblick beträgt seine Schnelligkeit mehr als sieben Fuß in der Sekunde in Baghdad.) Von August bis November ist der Wasserstand am niedrigsten. Vergl. Chesney, Expédition I, Kap. 2.
  3. Die Zeichnung, die ich davon gebe, ist noch schmeichelhaft. Das Gitterwerk ist viel länger und besonders weniger durchsichtig.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/321&oldid=- (Version vom 1.8.2018)