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Das „fait accompli“ spielt hier eine bedeutende Rolle. Nachdem die Dominikaner ihre Mission vergrößert hatten, waren verschiedene Häuser derselben durch Straßen von einander getrennt. Sie erbaten von dem „Bürgermeister“ die Erlaubnis, ihre Häuser durch Hängebrücken über den Straßen verbinden zu dürfen – dieses System ist in Mosul sehr verbreitet. Der Bürgermeister hielt es für unmöglich, die Erlaubnis zu geben, fügte aber hinzu: „Bauet doch nur; wenn das Glück will, daß sich niemand während des Bauens beschwert, werden wir nichts sehen.“ Nachdem die Brücken fertig waren, erhob zwar die Munizipalität der Form nach Einspruch; aber die vollendeten Bauten werden nicht mehr zerstört werden.

Die Handwerker sind hier gleichsam der Religion nach verteilt; alle Maurer sind Christen, alle Perückenmacher sind Mohammedaner. In Baghdad wie auch in Khosrawa scheint es dagegen nicht einen einzigen christlichen Maurer zu geben.

Eine sehr merkwürdige, aber auch zugleich sehr weit verbreitete Krankheit in der Gegend ist die „Hapta“ oder Krankheit der Furcht. Unter dem Einflusse des Klimas oder der Ernährung ist das Nervensystem der Einwohner sehr empfindlich geworden. Eine Ohrfeige, die man z. B. einem Kinde, das sich dessen nicht versieht, von hinten her gibt, ruft sofort diese Krankheit hervor; auch die Männer sind ihr unterworfen, wenn auch lange nicht so häufig als die Frauen. Der Kranke wird von einer schrecklichen Furcht ergriffen, wird schwächer und geht buchstäblich „drauf“. Oft folgt der Tod darnach. Es scheint, daß zur rechten Zeit die Hapta geheilt werden kann, indem man unter gewissen Bedingungen einen neuen Furchtanfall hervorruft. Man nimmt zum Beispiel Werg, das man mit den größten Vorbereitungen vor den Augen des Kranken anzündet, und sehr langsam und feierlich bringt man ihm eine leichte Brandwunde damit bei. Dies ruft bei dem Kranken einen höchsten Grad der Furcht hervor, und die Reaktion ist oft heilsam.

Das Manna Mesopotamiens ist eines der berühmtesten Produkte des Landes; seine Dichtigkeit ist syrupartig und sein Geschmack süß. Man trifft es im Handel als grünliche Brotkuchen an.

Sein Ursprung hat zu den widersprechendsten Hypothesen Veranlassung gegeben. Was hier folgt, haben wir von sehr ernsthaften Leuten darüber vernommen.

Das Manna soll ein atmosphärischer Niederschlag, eine Art Tau, sein; es fällt auf die Blätter der Bäume, besonders in den Gebirgen. Reichlich fällt es im Juli in den kurdischen Bergen, seltener in Mosul. Man schreibt seine Bildung zum großen Teile der Wärme zu, die in dieser Jahreszeit Tag und Nacht herrscht.

Da das Manna beim Aufgehen der Sonne schmilzt, so muß es in großer Eile gesammelt werden. Beim Sammeln werden oft eine Menge Blätter mit abgerissen, die auch später mit dem Manna vermischt werden, woher auch die grünliche Farbe kommt. Das auf dem Felsen gesammelte Manna ist fast ganz weiß.

Das Manna bildet einen bedeutenden Handelsartikel in Armenien, in Kurdistan, in Mesopotamien und Irak-Arabi. In Mosul macht man daraus, indem man es mit andern Stoffen vermischt, außerordentlich wohlschmeckende Kuchen, die leicht abführend wirken. Bei manchen Personen bilden diese Kuchen die Hauptnahrung während der Fastenzeit.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/322&oldid=- (Version vom 1.8.2018)