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Die Kaliaska ist eine Art Viktoria-Chaise (offener vierräderiger Wagen), die ziemlich bequem ist. Was die Perekladnoi angeht, so ist dies der Nationalwagen der Russen. Die Konstruktion ist äußerst einfach. Zwei Paar Räder stehen ziemlich weit auseinander. Auf den Achsen dieser Räder liegen zwei hölzerne Stangen, und auf diesen ruht ein ziemlich luftiger Kasten. Das ist der ganze Wagen; von Federn durchaus keine Spur. Ebenso merkwürdig ist auch der Sitz; parallel der Rückwand des Kastens befindet sich eine hölzerne Stange, die den Vorderteil des Sitzes bildet. Zwischen dieser Stange und dem untern Ende der Rückwand ist ein Netz aus Stricken befestigt. Auf dieses Netz legt man Stroh oder Kissen, um die Wirkungen der Stöße abzuschwächen. Wenn man bedenkt, daß dies Fuhrwerk im scharfen Trab und dazu noch auf holperigem Wege durch die Steppe eilt, wird man erklärlich finden, daß jede Bequemlichkeit dabei mangelt und die Stöße oft schrecklich werden. Deshalb nehmen die Russen auch stets eine Menge Kissen mit, wenn sie sich dieses Vehikels bedienen. Dadurch wird es ihnen zwar möglich, den Transport einigermaßen erträglich zu gestalten; wird aber der Wagen gewechselt, so muß ein förmlicher Umzug in Szene gesetzt werden. Zwar hat man dazu Zeit genug. Die unvermeidliche Antwort bei der Ankunft an der Station lautet: „Es sind keine Pferde da.“ „Wann gibt es Pferde?“ „Sitchas“ (bald). Unter „bald“ thut man aber gut, sich einen Zeitraum von zwei bis vier Stunden zu denken, wenn man nicht enttäuscht sein will. Man muß sich gedulden; niemals aber darf man die Antworten der dortigen Postmeister für Wahrheit annehmen. Diese schließen mit dem Gouvernement einen Vertrag ab, laut dessen sie die Pferde stellen müssen. Man kann es ihnen daher nicht verargen, daß sie für ihre Tiere besorgt sind. Es kommt daher oft vor, daß die Pferde verweigert werden, selbst wenn sie gefressen und die vorschriftsmäßige Zeit geruht haben.

Die Postpferde legen gewöhnlich fünfzehn bis zwanzig Werste (sechszehn bis einundzwanzig Kilometer) zurück. Kommen sie an der Station an, so werden sie ausgespannt und leer zurückgeschickt zu ihrem Ausgangspunkte. Nachdem sie im Stalle angekommen sind, dürfen sie drei Stunden ausruhen und müssen dann wieder zur Verfügung etwaiger Reisenden stehen. welchen Nutzen man sich von dem erwähnten Zurückschicken der Pferde verspricht, konnten wir niemals erfahren.

Kurzum, die Postmeister suchen oft die Reisenden zu täuschen; diese thun gut, wenn sie selbst zu den Pferdeställen gehen und sich von der Zahl der Pferde und der ihnen bewilligten Ruhezeit überzeugen. Ein leichter russischer Teint ist deshalb viel wert, um die Verzögerungen abzukürzen. Diese Postpferde laufen täglich oft dreimal eine Strecke von zwanzig Wersten. Da sie zwischen jeder Tour zu ihrem Stall zurückkehren, so durchlaufen sie in Wirklichkeit in einem Tage 120 Werste (127 Kilometer). Am folgenden Tage beginnt das Geschäft von neuem, und trotz der großen Anstrengung bleiben sie gut auf den Beinen.

Die Stöße in der Perekladnoi empfiehlt man als Heilmittel gegen den Spleen und behauptet, daß sich die Engländer derselben zuweilen mit Erfolg bedienen. Für die Wahrheit können wir nicht einstehen, da wir keinen Spleen hatten. Aber wir waren zu bang, um uns den Stößen noch weiter auszusetzen, und zogen die Bequemlichkeit einer Kaliaska vor.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/33&oldid=- (Version vom 1.8.2018)