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9. Januar.

Um vier Uhr des Morgens hielt der Kellelk Samarra gegenüber an. Die Nacht war sehr kühl und das Thermometer auf +2° gesunken. Samarra ist, ich weiß nicht mehr aus welchem Grunde, eine der heiligen Städte der schiitischen Mohammedaner. Wir wollten die Stadt besuchen, soweit es uns der Fanatismus der Einwohner gestattete, wovon man uns eine sehr düstere Schilderung gemacht hatte.

Die Stadt liegt ungefähr eine Viertelstunde von dem Flusse entfernt an der Grenze der Wüste; ihre Mauern, die noch ziemlich neu sind, bieten einen angenehmen Anblick. Aber bei den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne zieht ein anderer Gegenstand den Blick an und fesselt ihn, nämlich die Kuppel der heiligen Moschee. Sie hat die Form einer Tulpe[1] mit all den mohammedanischen Gebäuden im indisch-persischen Stil gemeinsam. Als Nasr-ed-din-Schah eine Pilgerreise nach Samarra unternahm, wollte er der Stadt ein Zeichen seiner Freigebigkeit hinterlassen und ließ die Moschee restaurieren; Kuppel und Unterlage sind ganz mit vergoldeten Dachziegeln bedeckt, die herrlich in der Sonne funkeln. Der große Portikus, der Vorhof, der äußere Portikus und die beiden Minarets sind mit reizender Fayencearbeit geschmückt, ein wenig grell zwar, aber die Farbentöne harmonisieren mit den warmen Farbenschattierungen des orientalischen Sonnenlichter

Sternwarte (?) von Samarra.

Ein Einwohner stellte sich in sehr liebenswürdiger Weise zu unserer Verfügung, um uns als Führer zu dienen; ein Imam machte uns sogar eine Art Einladung, die Moschee zu besuchen. Ganz sicher ist der Fanatismus der Einwohner nicht so furchtbar, wie er uns geschildert wurde; aber der der Pilger wird wohl um so größer sein, weshalb wir es vorzogen, sie nicht in ihrer Andacht zu stören.

Neben der großen Moschee findet sich noch eine kleinere, die aber in gerade entgegengesetzter Richtung erbaut ist; leider geht die Kuppel, die mit wunderhübscher Fayence bekleidet ist, in Stücke, und niemand nimmt sich ihrer an. Die von Nasr-ed-din-Schah restaurierte Moschee wird bald dasselbe Schicksal ereilen, denn im Oriente wird eben nichts unterhalten.

Auf einer großen weiten Fläche innerhalb der Wälle lagerte eine Karawane von persischen Pilgern. Im Mittelpunkte des Lagers sind auf einem Erdhaufen die Fahnen aufgepflanzt. Die Kadschawas (Schlafräume der Frauen) bilden ein großes Rondell an der Grenze des Lagers und zugleich eine Verschanzung. In diesem Kreise gehen nun bunt durcheinander Männer, Frauen und Kamele. Gewöhnlich sind diese im Kreise von acht oder zehn Stück um einem Strohhaufen

  1. Das heißt einer Tulpenzwiebel.
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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/334&oldid=- (Version vom 1.8.2018)