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Eine Umwallung von Mauern aus Ziegelsteinen, mit schönen, halbrunden Türmen flankiert und einem Graben geschützt, umschreibt oder, besser gesagt, beschrieb um Baghdad eine Verteidigungslinie von beinahe vierzehn Kilometern.

Ich sagte „beschrieb“, denn der größte Teil dieser Wälle ist auf eine echt türkische Art verschwunden. Ein Wali hatte sich in große Unternehmungen gewagt, so daß eines Tages kein Geld mehr in der Kasse war; darauf bezahlte der Wali die Gläubiger und Beamten zunächst mit Anweisungen auf die Zehnten von Korn, Hafer und Datteln; als diese Quellen aber auch erschöpft waren, kam ihm eine köstliche Idee – die zwar wenig dem Geschmack der Gläubiger entsprach, aber so rücksichtsvoll ist man in der Türkei eben nicht. Er stellte nun Anweisungen aus auf so und so viel Ladungen Ziegelsteine von den Wällen. Man darf wohl glauben, daß der Kurswert dieser neuen Wertpapiere sehr niedrig stand und das Papier nicht sonderlich begehrt wurde. – Wenn es nicht wahr ist, so ist die Geschichte doch gut erdacht und illustriert die türkische Wirtschaft sehr treffend.

Die Stadt nimmt nur die Hälfte des Raumes innerhalb der Umwallung ein. Von der Höhe der Türme, die dem Handel des Wali glücklich entgangen sind, bietet Baghdad ein Gemälde mit den köstlichsten Farbentönen, wenn die untergehende Sonne über diesen Wald von Palmen hinwegstrahlt, aus dem sich die Kugeln und Minarets der Moscheen mit ihren blauen oder grünen Farben abheben, und wenn sich der sehr feine Wüstensand zu goldglänzenden Wolken formt.

Obgleich die Stadt im Grunde ganz orientalisch und besonders arabisch ist, hat sie doch in mannigfacher Hinsicht ein kosmopolitisches Gepräge; Dampfschiffe verbinden die Stadt mit Basra, Indien und Europa; ein englischer Resident, der im Solde der indischen Regierung steht, macht großen Aufwand; Frankreich ist dort durch einen Konsul vertreten; die Mission der Karmeliter nimmt eine wichtige Stellung ein; die Handelsleute endlich sind besonders stark europäisch angehaucht.

Die Mission der Karmeliter ist sehr alt. Im Jahre 1640 machte eine französische Dame, Madame de Gué-Bagnols eine Stiftung von 66000 Franks für die Errichtung eines lateinischen Bistums in Babylon unter der Bedingung, daß der Bischof immer ein Franzose sei, der von der Propaganda ernannt werde. Der erste Bischof war ein Barfüßer-Karmeliter, P. Bernhard. Nach einem längern, arbeitsreichen Aufenthalt in Baghdad gründete er in Paris ein Institut zur Rekrutierung seiner Mission – von diesem Institut rührt noch der Name „Straße von Babylon“ her – welches Institut später das Seminar der auswärtigen Missionen wurde. Die Nachfolger des P. Bernhard setzten ihr Werk unter den größten Schwierigkeiten fort.

Im Jahre 1825 kam Bischof Coupperie[1] dazu, eine Schule für Knaben und Mädchen zu gründen; dies ist der Grundstein zu dem großen Werke gewesen, das heute den Namen „französisch-arabische Schule“ führt. Trotz der Armut hat sich diese Schule herrlich entfaltet. Ihre unregelmäßigen Gebäude, wo jeder Winkel ausgenützt wird, erzählen ihre Geschichte, wie sie auch zugleich Zeugnis von ihrer Popularität ablegen. Alle Einwohner Baghdads, die französisch sprechen – und deren gibt es viele – sind Zöglinge dieser Schule gewesen; vielen ist es gerade durch den dort genossenen Unterricht ermöglicht worden, jetzt geachtete Stellen zu bekleiden.

  1. Er wurde 1820 Bischof von Babylon, starb 1831 in Baghdad an der Cholera.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/346&oldid=- (Version vom 1.8.2018)