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hat es aber auch sein Bewenden. Der Sultan hat das Geld hergegeben, aber dieses ist in der Tasche der Beamten hängen geblieben.

Der jetzige Sultan Abd-ul-Hamid soll sehr thätig sein und sich um alles kümmern. Seine Absicht ist gut; obwohl er intelligent ist, so fehlt ihm doch die unerläßliche Grundlage, die erste Erziehung. Wie alle Sultane ist auch er vor seiner Thronbesteigung ganz bei Seite gehalten worden; vielleicht hat er durch die Eifersucht seiner Vorgänger mehr als einmal in Gefahr geschwebt. Er ist also gar nicht vorbereitet, seine Stellung nützlich auszufüllen, und die natürlichen Anlagen, die er besitzen mag, zu verwerten. Und dann, was kann ein Herrscher ausrichten, der als Werkzeug nur eine bis auf wenige Ausnahme durchaus verdorbene Verwaltung besitzt?[1]

Abgesehen von der Korruption im Innern ist die türkische Verwaltung auch noch sehr bedroht durch den korrumpierenden Einfluß, den Rußland auf die höchsten Beamten auszuüben sucht und dabei mit der größten Unverschämtheit verfährt. Ich habe in Konstantinopel einen Europäer kennen gelernt, der einen sehr wichtigen Posten in der türkischen Armee bekleidete. Die Russen suchten vergeblich, ihn mit ihren Rubeln zu fangen; als sie sahen, daß es auf diese Weise nicht ging, wandten sie sich an die Gemahlin des Beamten und versprachen ihr Geld und Toiletten. Voll Unwillen wies diese den russischen Unterhändler ab. „Auch gut,“ antwortete dieser darauf, „wenn Sie uns nicht unterstützen wollen, so werden Sie aber bald zu ihrem eigenen Schaden einsehen, wie wir denjenigen schaden, die uns im Wege stehen.“ Und wirklich häufte sich seit diesem Tage auf den charakterfesten Beamten ein Berg von Verleumdungen und Anklagen.

Daß unter solchen Umständen Abd-ul-Hamid ohnmächtig ist, kann nicht wunder nehmen. Seine Vorgänger sind es ja auch gewesen.

Sultan Mahommed, der wirkliches Genie besaß, hatte große Reformen begonnen und das Reich von dem gefährlichsten Element der Unordnung, von den Janitscharen, befreit. Sein Nachfolger Abd-ul-Medschid war schwach. Abd-ul-Aziz, der gut begonnen hatte, verkam ganz in dem Haremsleben und endigte damit, daß er seine Zeit dem Anwohnen der Hühnerkämpfe widmete und die siegreichen Hühner dekorierte. Murad hat nicht lange regiert. Abd-ul-Hamid widmet sich ganz dem Harem, wobei er moralisch und physisch zu Grunde geht; die Ausgaben für den Harem heben alle Reformversuche auf.

„Zählt man alle dem Serail angehörende Personen zusammen, alle Offiziere, Günstlinge, Beamte, Bediente, die im Dienste des Sultans stehen, so kann man 6000 Mann annehmen, die Abd-ul-Hamid täglich zu ernähren hat.[2] Man braucht

  1. Die Reschid, Ali und Fuad wollen aufrichtig den Fortschritt; aber was können sie ausrichten ohne tägliche Unterstützung, ohne die thätige Mitarbeit tüchtiger Agenten, die der Sache ergeben sind? Und was für welche sind es, mit denen sie meistens arbeiten müssen? Angeblich Schüler abendländischer Schulen, von zweideutiger Natur, gleichgiltig im höchsten Grade, verdorben, die mit wenigen Ausnahmen von ihrer Berührung mit der Civilisation keine weitere Frucht aufweisen können als einen dummen Skeptizismus und das Gefühl ihrer relativen Überragung, und die dazu noch erfüllt sind mit einem Widerwillen, den ihnen die europäische Überlegenheit einflößt. Engelhardt, La Turquie 254.
  2. 6000 Personen hat der Sultan offiziell zu ernähren. In Wirklichkeit aber rechnet man, daß mehr als 20000 Personen keine andere Küche haben als die des Sultans.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/369&oldid=- (Version vom 1.8.2018)