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Der Abstieg vom Gipfel nach Kasbeck ist schwindelerregend. Unsere drei Pferde, die in einer Reihe vor die Kaliaska gespannt waren, legten den Weg im Galopp zurück und nahmen dabei die gefährlichsten Windungen, ohne daß auch nur eine Hemmschraube an dem Wagen angebracht war. Die Landschaft ist nackt und zerrissen, nicht ein einziger Baum ist zu bemerken. Von der Poststation in Kasbeck hat man, wie uns erzählt wurde, einen schönen Blick auf das Gebirge: wir konnten uns aber nicht daran erfreuen, da ein dicker Nebel das ganze Gebirgsmassiv verhüllte. Kaum konnte man zeitweise das Kloster Sameba bemerken, das auf einen fast unzugänglichen Ausläufer des Gebirges gebaut ist und zur Zeit leer steht.

Aul von Pantscheti bei Kasbeck.

Der Kasbeck ist der Hauptpunkt in der Reihe der vulkanischen Berge, die den Kaukasus von Nordosten nach Südwesten durchziehen. In Rücksicht auf die Höhe nimmt er nur die dritte Stelle unter den Riesen des Kaukasus ein, obgleich er bis zu 5045 Metern emporsteigt. Der Elbrus überragt ihn um 600 Meter.

Die Benennung Kasbeck ist neuern Datums. Die Russen gaben dem Berg diesen Namen, um damit einen eingeborenen Fürsten Kasbeck zu belohnen, der ihre Oberhoheit anerkannte. Die Georgier nennen den Berg M’kinvari (Asberg) und die Osseten Urz-K’hoh (weißer Berg). Freshfield erstieg ihn zuerst 1868. An den Kasbeck haben die Osseten die phantastischten Legenden geknüpft. Auf seinem Gipfel sollen das Zelt Abrahams und die Krippe von Bethlehem in gut erhaltenem Zustande heute noch stehen. Zwischen den zwei Gletschern Albanot und Orzveri befindet sich eine Grotte, in der die allerseligste Jungfrau ausruhte, als sie von Ägypten zu den Osseten kam. Jeder Mensch, der daselbst einzudringen wagte, würde sofort sterben.

Die Fortsetzung der Heerstraße von Georgien, von Kasbeck bis zum Ausgang des Gebirges, ist sehr den Verwüstungen des Wassers ausgesetzt. Ein plötzlich hervorbrechender Bach hat sie wiederholt gänzlich zerstört.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)