Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/42

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

während die andern sie zu den reinsten Vertretern der arischen Rasse zählen, und noch andere gar behaupten, sie seien semitischen Ursprungs. Im allgemeinen zeichnen sie sich nicht durch schönen Körperbau aus. Ihre Gebräuche nähern sich den europäischen in manchen Punkten: sie bedienen sich der Betten, der Tische, der Stühle und sitzen nicht wie die Bewohner des östlichen Teiles von Asien mit untergeschlagenen Beinen. Ihre Religion ist ein Gemisch von allerlei Bekenntnissen und Aberglauben; doch giebt es unter ihnen ungefähr 50,000 sogenannte Christen.

Wladikawkas ist nach russischer Art gebaut, bietet also nichts Interessantes. Hier finden sich große, breite, aber schlecht gepflasterte Straßen, die an der Seite durchgehend mit einstöckigen Häusern besetzt sind. Nur einige Häuser erlauben sich den Luxus einer ersten Etage. Der Name „Wladikawkas“, der so recht die russische Oberherrschaft bezeichnet, ist eine Zusammensetzung von „Wladiget“ (bezwingen) und „Kawkasum“ (Kaukasus) und erinnert lebhaft an das klassisch gewordene „Zwing-Uri“. Potyomkin gründete diese Stadt 1785 auf der Stelle des alten Ossetendorfes Salutsch. Seine buntscheckige Bevölkerung beträgt gegenwärtig ungefähr 15,000 Seelen.

1. September.

In den Morgenstunden lenkten wir unsere Schritte zu dem großen Militärlager, das eine kleine Strecke nordwestlich von der Stadt errichtet und, wie man uns sagte, mit zwanzigtausend Menschen belegt ist. Die Zelte sind geräumig und anscheinend nicht leicht zu transportieren. Als wir hinkamen, waren die Soldaten gerade bei ihrem Frühstück. Vor und nach der Mahlzeit beten die Soldaten entblößten Hauptes mit großer Andacht, was einen imposanten Anblick gewährt. Die Zucht scheint genau und streng zu sein. Die Truppen, die beinahe die Hälfte des Jahres in den Zelten wohnen, machen einen guten Eindruck: sie sind kräftig und kriegstüchtig. Mehrere junge Bären liefen frei inmitten der Soldaten herum, deren Lieblinge sie sind.

Unterdessen hatte sich das Wetter aufgehellt, so daß wir eine herrliche Aussicht auf die große Kette des Kaukasus hatten. Er erhebt sich unmittelbar aus der Ebene, so daß das Auge keinen Übergang zwischen der Steppe und dem Gebirge wahrnehmen kann. Wenn der Kaukasus in seinen Konturen auch nicht die Mannigfaltigkeit der Alpen aufweisen kann, so entschädigt er auch wieder für diesen Ausfall durch die erhabene Majestät seiner Formen. Nur die Pyrenäen können, von der Place Royale in Pau aus gesehen, einen Vergleich in dieser Hinsicht mit dem Kaukasus aufnehmen. Hier präsentiert sich der Kasbeck in seiner ganzen Größe. Seine weißen Firnen glänzen in der Sonne und heben sich wunderbar gegen die Einförmigkeit der Steppe ab. Leider kann man dieses Bild nur in den ersten Morgenstunden genießen; in dem Maße, wie die Sonne am Horizonte höher steigt, umgeben die Wolken die Gipfel und verhüllen sie bald.

Wir hatten einmal vor, nach Tiflis über Petrofsk, Derbent und Baku zurückzukehren. Aber anstatt uns dafür zu entschließen, überlegten wir. Die Bequemlichkeit trug auch hier den Sieg davon, so daß wir einig wurden, auf dem Hinwege auch die Rückreise anzutreten.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)