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Tiflis ist ein Sammelplatz der verschiedensten orientalischen Völker; ein sehr beträchtlicher Teil der Einwohnerschaft ist armenischen Ursprungs. In zweiter Reihe, der Zahl und dem Ansehen nach, stehen die Georgier. Viele Einwohner der Stadt sind nur Wandervögel, Lazen, Chaldäer und andere, die einige Jahre hier arbeiten, um sich eine Summe zu verdienen, die sie dann in ihrer Heimat vergeuden. Die Mehrzahl ist nicht verheiratet oder hat die Weiber wenigstens zu Hause gelassen. Die sittlichen Zustände lassen viel zu wünschen übrig, wie auch das Spielen um Geld hier an der Tagesordnung ist.

Der georgische Name von Tiflis, Tphilis oder Tphilis-Kalaki bedeutet warme Stadt. Ohne Zweifel kommt dieser Name von den heißen Quellen; aber Tiflis verdient auch schon diesen Namen durch die Wärme, die hier im Sommer herrscht. Wir hatten glücklicherweise nicht viel davon zu leiden; aber in dieser baumlosen Gegend, die dazu noch von einem Kranz Schieferfelsen umgeben ist, konzentriert sich die Hitze, und zuweilen steigt die Temperatur zu 41° Celsius im Schatten. Indessen ist die Wärme von Tiflis wegen der Trockenheit doch erträglich, da eine feuchte Wärme viel lästiger wird als eine trockene. Während der Monate Juli, August und September schwankt das Thermometer zwischen 28 und 35°. Der Winter wie auch das Frühjahr sind hier angenehm. Der Nordwestwind ist hier sehr heftig und, da er gewöhnlich große Staubwolken aufwirbelt, die sich überall Zugang zu verschaffen wissen, auch gefürchtet. Auch kommen häufig Erdbeben vor.

Da Tiflis die letzte Stadt ist, wo sich noch europäische Gebrauchsartikel kaufen lassen, mußten wir uns darnach einrichten und noch einige unentbehrliche Sachen kaufen, also den Bazar aufsuchen. Hier liegt nicht alles so aufeinander wie in den meisten orientalischen Städten; freilich verliert der Bazar dadurch viel von seinem nationalen Gepräge. Man findet daselbst wunderhübsche Sachen in gravierter Silberarbeit mit eingelegter Schmelze. Diese Industrie, die sich der einfachsten Mittel bedient, ist eine der am weitesten verbreiteten im Lande, ist gewissermaßen zur National-Industrie geworden. Das Verfahren ist folgendes: Die georgischen Gravierer zeichnen das betreffende Muster tief in die Silberplatte ein. Dann füllt man die Vertiefungen mit einer Mischung von Silber, Kupfer und Blei. Nachdem die Platte glühend gemacht worden ist, wird sie mit Borax eingerieben, dann kommt sie für kurze Zeit in einen Ofen. Darauf läßt man sie langsam erkalten und poliert sie.

Nicht weit vom Bazar befinden sich die warmen Bäder von Tiflis, die sich eines regen Besuches zu erfreuen haben. Ihre Temperatur schwankt zwischen 43 und 46° Celsius. Da man für die Bäder das Wasser so heiß gebraucht, wie es aus der Erde sprudelt, ist die erste Empfindung des Badenden schrecklich unangenehm. Um das Übel nun noch schlimmer zu machen, ergreift ein Masseur den Badenden, legt ihm die Hand auf den Kopf und nötigt ihn, gänzlich unter dem Wasser zu verschwinden. Die Vorsichtsmaßregel scheint notwendig zu sein, um einen Schlagfluß zu vermeiden. Nach dem Bade folgt eine regelrechte Massage, und neu gestärkt verläßt man das Bad. Es gibt dort mehrere Badehäuser; aber man thut gut, vor der Wahl sich zu erkundigen, da einige derselben in moralischer Hinsicht mehr als verdächtig sind.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/47&oldid=- (Version vom 1.8.2018)