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Georgien belagerten es mehrere Male. Im Jahre 1804 widerstand die Stadt dem russischen Angriff, den der Fürst Tsitsianoff gegen sie unternahm. Nach einem zweiten Angriff im Jahre 1808 gelang es den Russen 1827, sich der Stadt zu bemächtigen. Paskiewitsch, der Eroberer Eriwans, erhielt vom Zaren den Titel „von Eriwanski“.

Die Stadt liegt an dem Senga in einer Höhe von 984 Metern und ein wenig von der Stelle entfernt, wo sich der Senga mit dem Aras vereinigt. Deshalb ist die Stadt ein bedeutender Kreuzungspunkt in geographischer Hinsicht. Die Straße von Georgien nach Persien trifft hier mit der natürlichen Straße von der Türkei nach Persien, dem Arasthale, zusammen. Seit der Eroberung des Landes durch die Russen hat der türkisch–persische Transithandel das Thal des Aras verlassen und nimmt seinen weg über Bayasid.

Obgleich Eriwan unter dem 40,10. Breitegrad liegt, also drei Grad südlicher als Marseille, kann man das Klima daselbst ungeheuer rauh nennen. Der Winter dauert lange, meist schneit es noch im April. Im Januar fällt das Thermometer oft 30 bis 32 Grad unter Null (nach Celsius), während die russischen Offiziere im Sommer zuweilen in dem Fort 47 Grad Celsius im Schatten bemerkt haben.

Durchschnittlich sind die Winter hier so kalt wie in Petersburg; aber der gewöhnlich kälteste Monat (-15 Grad Celsius) ist hier kälter als in Petersburg oder Archangelsk. Der Unterschied zwischen dem tiefsten Kälte- und dem höchsten Wärmegrad beträgt, wie hier angeführt, 79 Grad, während sonst der Unterschied durchweg bloß 40,4 Grad beträgt. Dieser Unterschied findet sich kaum in den Polargegenden; in Jakutsk z. B. sind die Sommer auch warm, aber im Winter ist es daselbst so eisigkalt wie am Nordpol. Die Sommerwärme wird in Eriwan ein wenig gemäßigt durch eine Art Mistral, der während der Nacht von den Bergen weht. Aber dieser Wechsel in der Temperatur erzeugt leicht Fieber, weshalb die europäischen Beamten im Sommer sobald als möglich Eriwan den Rücken wenden.

Durch die Verwüstungen, die Eriwan in den aufeinander folgenden Kriegen erdulden mußte, sowie dadurch, daß es in der Eile und dazu nicht einmal genau an derselben Stelle wieder aufgebaut wurde, besitzt Eriwan naturgemäß keine hervorragenden Baudenkmäler, und die etwa vorhandenen verdanken ihren Ursprung den Persern.

Die blaue Moschee, die durch die schöne Fayencearbeit an der Kuppel bemerkenswert ist, liegt in Trümmern. Eine andere Moschee, die grüne Moschee, ist sehr interessant. wie die Mehrzahl solcher Gebäude in Persien und Indien, hat sie keine eigentliche Façade, breitet sich aber auf dem Hofe zu großen Buchten mit Bogenwölbungen aus. Der mit Bäumen bepflanzte Hof ist von Klöstern umgeben, die heute den Kaufleuten als Warenschuppen dienen. Schöne grün-blaue Fayencestücke bedecken die Kuppel und das Minaret.

Wir trafen es gerade, daß wir in Eriwan waren während des Katil-Beïram, dem feierlichsten Feste der schiitischen Muselmänner. Damals war der sechste Tag des Festes, das in den ersten zehn Tagen des Monates Moharrem begangen wird.

Das Fest dient dazu, um der Ermordung der Familie Hussein zu gedenken. Da wir den Schluß des Festes in Nakhitschewan erlebt haben, werde ich später mehr davon berichten.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)