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Der Polizeidirektor hatte zu unserer Verfügung seinen Unterchef, einen tartarischen Muselman, gestellt. Durch diese anzuerkennende Zuvorkommenheit konnten wir uns erlauben, allen Zeremonien des Festes in Sicherheit beizuwohnen und uns unter die Masse zu wagen.

Um ein Uhr waren wir an der grünen Moschee. An dem Portikus erwartete uns der Unterchef. Der Hof war mit einer buntscheckigen Menge angefüllt, die bis zum Beginn der religiösen Feierlichkeiten sich die Zeit damit vertrieb, ihre Geschäfte abzuwickeln und in den Schuppen des Klosters ihre Einkäufe zu machen. Ein Kaufmann lud uns freundlich (und auch in uneigennütziger Absicht) ein, in seinem Schuppen Platz zu nehmen und bot uns Kaffee, Thee und Zigaretten an, weigerte sich aber, etwas dafür von uns anzunehmen.

Während dieser Zeit drängte sich die Menge von allen Seiten auf die Moschee zu. Wir begaben uns an der Seite des Polizei-Unterchefs in die Mitte der „Gläubigen“. Ein Imam setzte sich mit gekreuzten Beinen auf eine kleine Estrade, die ihm als Kanzel diente, und begann mit der Erzählung der Leiden Husseins. Seine Erzählung hat den Fehler vieler Predigten, nämlich den der allzugroßen Länge. Er begann mit der Erschaffung der Welt, ließ die Propheten des Alten Testamentes an dem geistigen Auge seiner Zuhörer vorbeipassieren, sprach mit vieler Achtung von „Jesus, dem Sohne Mariens“ und kam dann zu den einfältigen Märchen, die Mohammed um seine Person gewebt hat. Endlich kam er zu den Muselmanen. An dem eigentlichen Gegenstand seiner Rede angekommen, nimmt er auf einmal einen schmachtenden, pathetischen Ton an, der mit dem Tone der italienischen Predigten erstaunlich viele Ahnlichkeit besitzt. Bei den rührendsten Stellen unterbricht er seine Rede durch Schluchzen. Auf dieses Zeichen hin antwortet die ganze Versammlung mit Seufzen und Weinen: jeder rauft sich heftig die Haare und schlägt sich mit der geballten Haust wider die Stirn. Dieses Seufzen, dieses Schlagen, das die eifrigsten unter den Zuhörern mit einer wahren Wut ausführten, machte einen tiefen Eindruck auf uns, aber dieser Eindruck hat etwas Trauriges an sich. Man fühlt unwillkürlich, daß von diesem Seufzen nur ein kleiner Schritt ist bis zu dem Todesruf gegen die Feinde des Islams, gegen die „Christenhunde“. Halbbestürzt gingen wir fort.

Am Abend machen die Fanatiker, welche die „Martyrer“ in der großen Prozession vorstellen sollen, einen Spaziergang mit Fackeln, während sie mit Säbeln und Knütteln bewaffnet waren. Sie bewegten ihre Fackeln und ihre Waffen hin und her, während sie zu derselben Zeit aus vollem Halse schrien: „Hussein, Ali, Hussein, Ali.“ Die roten Lichtreflexe der Fackeln, die hier auf die bleichen Silhouetten des Hauses fallen, sich dort gar seltsam mit dem Grün der Bäume vermischen und dann wieder die jämmerlichen Figuren der Andächtigen beleuchten, gewähren ein wildes, phantastisches Schauspiel, das den traurigen Eindruck aus der Moschee noch verstärkt.

In der ruinierten Umwallung der Festung findet sich der klassische Platz von Eriwan, der Eissaal oder der Saal Serdar, ein Überbleibsel des verschwundenen Glanzes. Es ist das alte Justizgebäude der persischen Gouverneure. Die Wände sind mit Gemälden geschmückt, die iranische Helden darstellen. Die Decke ist aus Spiegel-Stalaktiten zusammengesetzt, wodurch die Sonnenstrahlen in die Farben des

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/62&oldid=- (Version vom 1.8.2018)