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Wenn man von Transkaukasien aus nach Persien oder der Türkei reist, findet man den Gegensatz für Rußland günstig; hat man aber die Thätigkeit der Engländer in Indien gesehen, so muß man sich gestehen, daß die Russen noch sehr weit zurück sind.

Man sollte glauben, daß die Russen, die doch schon an den Grenzen des Landes wohnten, mehr Erfolge zu verzeichnen haben müßten als die Engländer in dem so entfernten Indien. Denn zunächst ist das Zahlenverhältnis zwischen den Eroberern und Unterjochten auf russischer Seite entschieden günstiger; dann muß man aber auch erwägen, daß die Engländer in Indien mit ganz fremden, ihnen unbekannten Völkerschaften zu thun hatten, über die sie zunächst nur einen indirekten Einfluß ausüben konnten durch Übernahme des Protektorates. Alles dies traf aber bei den Russen nicht zu.

Man könnte vielleicht einwenden, der Vergleich sei unzulässig, weil die Engländer Indien bereits besetzt hatten, ehe die Russen im Kaukasus Fuß faßten. Wenn man dies auch zugeben muß, so kann man andrerseits aber auch nicht leugnen, daß die Russen Tiflis schon seit dem Anfang dieses Jahrhunderts besitzen, und daß die englische Okkupation Indiens einen ganz andern Charakter der Verwaltung trug. Sie war vor 1857 eine Gesellschaft von Privatleuten, die Indische Handelsgesellschaft, die das Land beherrschte, und dieser Gesellschaft hat man oft den Vorwurf gemacht, das Land auszubeuten, ohne etwas für sein wohl zu thun. Sie beherrschte das Land mehr indirekt, als es jetzt durch die englische Regierung geschieht. Will man konsequent sein, so muß man doch zugeben, daß die soziale Thätigkeit Englands in Indien erst von dem Zeitpunkte an datiert, wo die „Indische Handelsgesellschaft“ ihre Rechte der englischen Krone übertrug. Und ganz davon abgesehen, wenn die „Indische Handelsgesellschaft“ die blühenden Zustände Indiens geschaffen hat durch das eigene Ansehen, so bleibt das englische Werk als das von Privatleuten um so bewunderungswürdiger, während aber auch der Gegensatz zu dem russischen um so schärfer hervortritt.

Betrachtet man die materielle Seite, so fällt einem bei einigen Städten des Kaukasus ein Pariser Anstrich auf; derselbe besteht aber zum größten Teile in Kaffeehäusern, wo gleichzeitig Konzert stattfindet (Tingeltangel) und Frisierbuden; von ernsthaften Einrichtungen findet sich selten eine Spur.

Das Innere des Landes zeigt wesentlich dasselbe Aussehen wie vor hundert Jahren; wohl wird es von einigen Straßen durchzogen, die aber mehr allein, laufenden Adern gleichen. Das übrige Straßennetz muß noch geschaffen werden, und gewöhnlich ist das Pferd noch das beste Verkehrsmittel. Der Handel hat sich schlecht entwickelt schon aus diesem Grunde, aber auch deshalb, weil sowohl Absatzgebiete wie auch die nötigen Anregungen fehlen. Der größte Teil einer außerordentlich fruchtbaren Gegend bleibt unbekannt und die Bewohner daher arm.

Von Indien kann man gerade das Gegenteil behaupten; dort wird keine einzige Hilfsquelle, die von der Natur geboten wird, verschmäht. Die wichtigsten Arbeiten für das öffentliche wohl werden dort mit Leichtigkeit und Schnelligkeit ausgeführt. Die Verbindungswege im Innern sind ausgezeichnet, ganz abgesehen von dem bedeutenden Eisenbahnnetze. Die Poststraßen, die wir dort benützten, sind in

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)