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sind Christen; ein empfindlicher Stolz bildet einen hervorragenden Zug ihres Charakters. Keine Kasteneinteilung im Sinne des Hindu bereitet sie vor, sich der Herrschaft einer Randvoll Leute zu fügen, die in irgend einer Weise mit magischer Gewalt regieren. Für eine einfache Verwaltung müßten aber außerordentlich geschickte Menschen und eine gute Regierungstradition vorhanden sein. Beide Bedingungen kann Rußland nicht erfüllen. Es findet auch vielleicht einen größeren Vorteil dabei, sein durchweg mittelmäßiges Beamtenpersonal mit dem fraglichen Zauber einer ungeheuren Bureaukratie zu umgeben.

Dadurch aber ist es auf dem Punkte, zu viel und schlecht zu regieren, angelangt. Die russische Regierung läßt alle Sachen in dem rohen Zustande und schafft sich dadurch das größte Hindernis für die gedeihliche Entwickelung des Landes. Selbst die Privatunternehmungen einzelner sind oft tausend Scherereien seitens der Verwaltung ausgesetzt. Einzelne energische Personen, die nach oben hin gute Verbindungen hatten, benützten diese und beseitigten so die genannten Schwierigkeiten; dadurch sind sie in ganz gute Verhältnisse gekommen, aber solche Fälle sind eben nur Ausnahmen, wodurch die Regel bestätigt wird. Die Fremden werden von der Polizei peinlich genau, ja argwöhnisch, überwacht; der Reisepaß ist ein unerläßlicher Talisman, den der Reisende sich aber in jeder Stadt beglaubigen lassen muß. Gesellschaftliche Unternehmungen in industrieller und technischer Einsicht sind ohne die Zustimmung der Regierung undenkbar. Aber durch diese Beschränkung geht in solchen Ländern der Assoziationsgeist, wo er noch nicht entwickelt ist, im Keime zu Grunde.

Trotzdem nimmt man gewöhnlich an, daß die Bewohner des Kaukasus der Regierung des Zaren sehr ergeben sind; selbstverständlich muß man hierbei nicht an die Bergbevölkerung denken, die sich kaum beherrschen läßt. Wenn die anderen Einwohner treu zu der Regierung des Zaren stehen, so erklärt sich dies eben aus dem Fortschritt, den das Land unter dieser Regierung gemacht hat, mag er auch noch so klein sein.

Die Bevölkerung ist dem Zaren dafür dankbar, daß er ihr eine feste Regierung gegeben hat. Das ist aber auch das einzig Merkbare. Was den sonstigen Fortschritt angeht, so haben die Bewohner davon keine Vorstellung und kommen deshalb auch nicht in die Lage, über das Fehlen desselben klagen zu können. Übrigens würde eine zivilisatorische Regierung mehr für das Wohl des Landes thun können, als für seine eigene Beliebtheit. Bemühungen, wie die der Engländer in Indien, würden vielleicht dazu beitragen, das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und der Regierung erkalten zu lassen, denn jeder Eingriff in das Hergebrachte gefällt den Bewohnern des Kaukasus nicht.

Die russische Herrschaft scheint demnach im Kaukasus festen Fuß gefaßt zu haben; eine andere Frage aber ist die, ob der Kaukasus auch mit Rußland zu einem Ganzen verwächst.

Bei der Beantwortung dieser Frage muß man unterscheiden zwischen einer äußeren Assimilation und einem wirklichen Aufgehen der beiden in einander.

Die Engländer haben mit bewunderungswürdiger Klugheit in ihrer Verwaltung die eingeborenen Indier zu verwenden verstanden; und gerade diese zeigten überall große Fähigkeiten und liefen den europäischen Beamten fast den Rang ab. So giebt es also einen bedeutenden Teil des englischen Lebens, der sich dem Hindu aufdrängt;

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)