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aber diese Assimilation ist äußerlich. Der Engländer wird immer die oberste Klasse bleiben und sich niemals mit dem Hindu auf gleichen Fuß stellen, weshalb er ihm auch den Zutritt zu den höheren Ämtern verweigert. Dieses Ausschließen kann dem Engländer nicht übel gedeutet werden, denn nur um diesen Preis kann er seine Herrschaft daselbst behaupten. Der Hindu nimmt also das eine und andere von dem Engländer an, aber er wird sich niemals mit ihm vermischen, sondern immer ein von diesem verschiedenes Volk bilden.

Rußland dagegen begünstigt mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln eine gegenseitige Durchdringung der russischen und einheimischen Elemente. Deshalb kommen auch möglichst viel Einheimische zu den mannigfaltigsten Ämtern, wie ihnen auch kein höheres Amt unerreichbar ist. Beispielsweise sei nur an das russische Heer erinnert. Rußland wendet dieses Prinzip mit einer wirklichen Kühnheit an, die noch mehr dazu beiträgt, die Idee seiner Allmacht in dem Geiste der unterworfenen Völker zu befestigen, und der Erfolg hat dieser Idee nicht gefehlt. Kaum war der tapfere Schamyl besiegt, so wurde einer seiner Söhne russischer Offizier. Nicht lange hatte Skoboleff Goek-Tep erstürmt, als die Tekkes, die kurz vorher seine erbitterten Gegner gewesen waren, höhere Offizierstellen in der russischen Armee erhielten und mit ihren Truppen in den Dienst des Zaren traten.

Durch solche Kunstgriffe hat Rußland viel Einfluß gewonnen; jedesmal wenn diese Einheimischen Zivilbeamten werden, gehen sie ganz in der großen Verwaltungmaschine auf, so daß man ihre Persönlichkeit im Vergleich zu früher gar nicht mehr wieder erkennt.

Die Kaukasier werden von den Russen als eine gleichstehende Rasse behandelt. Die mit dem größten Teile der Bevölkerung gemeinsame Religion legt auch den Heiraten zwischen den Russen und den Einheimischen kein Hindernis in den Weg.

In dem persönlichen Verkehr mit den Kaukasiern wissen die Russen leicht deren Sympathie zu erlangen. Statt der geringschätzenden Zurückhaltung der Engländer zeigen sie in den persönlichen Beziehungen ihr gutes Naturell und die Empfänglichkeit ihres Charakters. Einige Quälereien, einige Mißbräuche der Gewalt sind viel weniger als der englische Dünkel geeignet, die Einwohnerschaft zurückzustoßen, die eben von der Herrschaft der absoluten Willkür befreit worden ist.

Dennoch schreitet die Russifizierung sehr langsam vorwärts. Rußland kann nämlich infolge der erwähnten Umstände und des gebräuchlichen Systems keine Beamten in den Kaukasus schicken, die einen nachhaltigen und tiefen Einfluß ausüben.

Darum kann die Russifizierung nur auf dem langsamen Wege der Erziehung und der Vermischung der beiden Völkerschaften bewerkstelligt werden.

Aber Erziehung und Unterricht werden nur wenig berücksichtigt; eine zu große Eile, die russische Sprache in den Schulen einzuführen, würde wahrscheinlich die Vermischung noch länger hinausschieben. Diese Mischung ist bis jetzt auch noch ziemlich selten. Der Russe hat in seiner Heimat Raum genug, so daß er wenig Lust verspürt, als Kolonist in den Kaukasus zu ziehen. Die russische Bevölkerung im Kaukasus besteht darum hauptsächlich in den Beamten, die dazu noch häufig wechseln.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/90&oldid=- (Version vom 1.8.2018)