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Einfluß auf die Russen gewonnen,[1] den die Russen heute abzuschütteln versuchen, weshalb sie bei jeder Gelegenheit einen glühenden Haß gegen die Deutschen an den Tag legen.

Selbst wenn die Russen in dem Kaukasus zahlreicher wären, würde doch die Vermischung der beiden Völkerschaften in sehr ungleicher Weise vor sich gehen. Ein großes Hindernis für diese Mischung hat Rußland dadurch beseitigt, daß es die georgische Kirche in seine Nationalkirche absorbierte; aber diese Schranke besteht dennoch bei der Masse des russischen und armenischen Volkes. Der Armenier ist durchaus nicht geneigt, seine Nationalität untergehen zu lassen und geht deshalb gewöhnlich Verbindungen mit andern Nationen aus dem Wege.

Eine gewisse Mischung der Russen könnte nun doch immerhin stattfinden, aber sie kann nur langsam erfolgen. Viel verspricht man sich allerdings für die Russifikation von dem obligatorischen Militärdienst, der kürzlich in Transkaukasien eingeführt worden ist.

Aber gerade dieser Militärdienst könnte den Russen noch manche Unruhen bereiten. Kaukasien ist ruhig und scheint dem Zar unterworfen; aber das Nationalgefühl ist bei den einzelnen Völkerschaften noch sehr lebhaft. Oft fragten wir Landleute, ob sie Russen seien, und immer antworteten sie zuweilen mit einer beleidigten Miene: „Gewiß nicht, wir sind Grusier.“ Ein höherer Offizier gestand uns, daß er fürchte, die Kaukasier und besonders die Bergbewohner, wenn sie durch den Militärdienst an eine strenge Disziplin gewöhnt sind, würden den Russen noch manche Verdrießlichkeiten bereiten.

Ohne Zweifel besitzt keines der mit einander rivalisierenden Völker, die sich im Kaukasus niedergelassen haben, das nötige Übergewicht, um hoffen zu können, über das andere zu herrschen und sich desselben gegen Rußland bedienen zu können; eine Empörung würde darum auch keinen besondern Erfolg zu verzeichnen haben. Aber die Thatsache, daß man eine solche zu befürchten haben könnte, zeigt doch schon an, daß die Russifizierung noch nicht fertig ist.

Man schätzt die Bevölkerung von Transkaukasien auf etwas mehr als vier Millionen Seelen. Alle möglichen Rassen sind dort vertreten. Auf unserm Wege waren am stärksten vertreten die Kartvelianer, Armenier und Tartaren. Als die bedeutendsten Stämme der Kartvelianer nennt man die Grusier, Imerether, Mingrelier und mehrere Völkerschaften der Gebirge. Alle diese Stämme sind Christen, wenigstens dem Namen nach. Man schätzt die Zahl ihrer Angehörigen auf ungefähr 900000 Seelen.

Die Armenier sind im Kaukasus in einer Stärke von 700000 Seelen vertreten; ihrer wird später noch Erwähnung geschehen.

Die mohammedanische Bevölkerung in Transkaukasien besteht aus Persern und Tartaren. Die Türken in den kürzlich eroberten Provinzen suchten das russische

  1. In Tiflis waren unter vier einflußreichen Personen, die wir kennen lernten, wenigstens drei deutschen Ursprungs.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)