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Gebiet zu verlassen.[1] Die Zahl der Mohammedaner in Transkaukasien übersteigt eine Million.

In religiöser Hinsicht können sich die Mohammedaner nicht beklagen, da sie manche Vorzüge genießen und sich einer vollständigen Freiheit erfreuen. Die religiöse Oberaufsicht wird durch Vermittelung der Groß-Mollahs geführt, die in Wirklichkeit eine Macht sind. In seinem großen Reiche hat der Zar eine zu starke mohammedanische Bevölkerung, als daß er sich eine lästige Einmischung in deren religiöse Angelegenheiten gestatten könnte; die geringste Unzufriedenheit der russischen Mohammedaner wäre die Ursache ernstlicher Gefahren. Auch die Regierung beschäftigt sich wenig mit deren Angelegenheiten. Ein Polizeibeamter sagte uns, daß man die Mohammedaner, falls sie sich nicht gegen Rußland empörten und die Russen nicht angriffen, ruhig gehen ließe, selbst wenn sie sich unter einander blutig bekämpften.[2] Selbst ihre barbarischen Feste, wie das Beïram-Ali-Fest, dem wir beigewohnt haben, werden von Rußland geduldet. Im Punkte des Militärdienstes gebraucht Rußland den Mohammedanern gegenüber die größte Nachsicht. Die Mohammedaner werden zu den Ämtern zugelassen, und viele unter ihnen bekleiden hohe Stellen in der Armee, wo sie freiwillig eingetreten sind.

Als Ausnahmen erlaubt auch der Zar Heiraten zwischen Mohammedanern und Christen unter der Bedingung, daß die Kinder in der russischen Religion erzogen werden.

Die Katholiken dagegen sind stets einem Regime unterworfen, das man am besten mit dem Ausdruck „Verfolgung“ bezeichnet.

Wir brachten beinahe drei Wochen in Tiflis zu und hatten während dieser Zeit mehrere katholische Priester der Stadt kennen gelernt. Keiner von ihnen aber wagte es, uns eine heilige Messe lesen zu lassen, nicht einmal in einem Zimmer.

Natürlich fürchteten sie nicht für uns, da wir doch später ausgewiesen würden; aber sie befürchteten nach unserer Abreise allerlei gerichtliche Untersuchungen und Scherereien.

Auf unsere Beschwerden über diese Angelegenheit erwiderte uns eine hochgestellte Persönlichkeit, daß Rußland den fremden Geistlichen durchaus nicht feindlich gesinnt sei; aber die Mehrzahl der katholischen Priester in Rußland seien Polen oder Georgier, und diese verwechselten die Religion mit dem Vaterlande, wodurch Rußland allerdings gezwungen sei, strenge zu verfahren.

Was man mit dem Ausdrucke „nicht feindlich gesinnt sein“ sagen will, ist mir unbekannt. Wohl aber ist mir bekannt, daß man alle katholischen Korporationen, die ehemals in Georgien bestanden und von Europäern geleitet wurden,

  1. Von 1878 bis 1881 fand in den von Rußland annektierten türkischen Gebieten folgende Volksbewegung statt:
    Auswanderer: 87760 Seelen
    Einwanderer: 21890 Seelen
    Verlust: 65870 Seelen.
  2. Die Mohammedaner. besonders die Tartaren, haben ein großes Gefühl der Zusammengehörigkeit; derselbe Polizeibeamte erzählte uns auch, daß die Tartaren oft den Verbrechern ihres Stammes einen Zufluchtsort geben, so lange diese ihre Glaubensgenossen nicht belästigen. Auf diese Weise werde die Ausübung der Justiz im Kaukasus sehr erschwert.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)