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Platz nicht verlassen. Vielleicht schwebte eine dunkle Idee vor ihrer Seele, daß nur auf einem Kirchhofe, wo sie jezt geschlafen, ihre Leiden enden könnten, wann erst die gespannte Nerve im letzten Erstarren ausgebebt. Im heitern Gemälde der von der Morgensonne umleuchteten schönen Natur, warf dieser Anblick menschlichen Elends einen finstern bangen Schatten, der wie ein Gespenst über die Gräber hervortrat. Die Griechen ehrten Wahnsinnige, und hielten sie für Inspirirte. Wir kennen die Sterne freilich nicht, die in der innern Nacht eines solchen Daseyns — wo wir nur den verhüllten Himmel des äußern Lebens erblicken, — aufgehen, und doch erschüttert ein solcher Anblick so tief! Sollte das nicht ein Beweis seyn, daß es die Anweisung der Natur ist, nach Wahrheit zu ringen, da wir’s, wo wir den Wahn erblicken, unmöglich halten, in seinen Träumen ein glückliches Gefühl entstehen zu sehen, obgleich für den Träumer selbst, ehe er erwacht, die Täuschungen seiner Ideen für Anschauungen und Wahrheiten gelten.

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Ulrich von Schlippenbach: Malerische Wanderungen durch Kurland. C. J. G. Hartmann, Riga und Leipzig 1809, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:VonSchlippenbachMalerischeWanderungenDurchKurland.pdf/267&oldid=- (Version vom 14.2.2021)