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Stundenglase der Zeit. Die Steine, die hier herabfallen, schlagen auf die Erde, wie im Menschen die Pulsschläge, einer nach dem andern so lange, bis auch der letzte dahin ist und nur Schutt und Asche zurückbleiben.

Hoch stürzet die Woge vom Felsen herab,
Hin zu dem verschlingenden Meere;
So stürzen auch Zeiten darnieder ins Grab —
So fallen auch mächtige Heere.
Doch ewig und stark, wie des Himmels Dom,
Entspringt aus der Quelle der mächtige Strom.

Es fielen der Thränen so viel in die Flut —
So viele der blutigen Tropfen:
Sie löschte der Herzen heißbrennende Glut,
Erstarrte ihr bebendes Klopfen,
Und fort — ach! auf ewig weit fortgespült
Ist, was eine Seele hier göttlich gefühlt.

Es wanken die Mauern — und stürzen sie ein,
Die Gräber der mächt’gen Erbauer.
Ruinen verschwinden, es löst sich der Stein
Und schlägt seine Stütze, die Mauer;
Und was nur geschaffen die menschliche Kraft,
Wird fort, von den Fluten der Zeit hingerafft. —

Laß stürzen, laß fallen! Nicht schwindet der Quell,
Aus göttlicher Höhe entsprungen;
Tief unten im Strome da wird es uns hell,
Hat er uns erst selber verschlungen.
Zum Meere, zum Meere, dahin geht sein Lauf:
Das nimmt die gesunkenen Herzen mit auf.

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Schlippenbach: Malerische Wanderungen durch Kurland. C. J. G. Hartmann, Riga und Leipzig 1809, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:VonSchlippenbachMalerischeWanderungenDurchKurland.pdf/306&oldid=- (Version vom 12.12.2020)