Seite:Von der Sprachfaehigkeit und dem Ursprung der Sprache 272.png

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zu wollen, nachdem man sie bisher immerfort durch natürliche Zeichen ausgedrückt hatte? Dann, wie kam es, daß derjenige, welcher die Töne vorschlug, sie selbst nicht wieder vergaß, oder noch mehr — daß sie von der ganzen Horde behalten wurden? Endlich, wie wäre es denkbar, daß eine Menge ungebundner Menschen sich dem Ansehen eines Einzigen unbedingt unterworfen — daß sie einen Vorschlag, der sich auf nichts, als die Willkür dieses Einzigen gründete, so willig angenommen hätten?


Noch ist, bei der ganzen Deduction der Sprache, und insbesondre bei der gegenwärtigen Untersuchung, wohl zu merken, daß die verschiedenen Momente der Erfindung und Modification einer Sprache nicht so schnell auf einander gefolgt sind, als sie hier erzählt werden. Wer weiß, wie viel tausend Jahre verflossen sind, ehe die Ursprache Sprache fürs Gehör wurde?


Ferner ist es durch die Erfahrung bestätigt, daß die Sprachen sich immer ändern, immer neue Modificationen annehmen; daß aber diese Veränderlichkeit nach Maaßgabe der Cultur, welche eine bestimmte Sprache hat, sich stärker oder schwächer äußert. Vorzüglich zeigt sich durch Erfahrung, daß die Sprache sich am meisten bei einem Volk ändert, das noch nicht schreibt, sondern bloß spricht; weil der ursprüngliche Ton eines Zeichens, wenn er einmal verloren gegangen ist, nirgends wieder aufgefunden werden kann. Wo aber geschrieben wird, da wird der Ton festgehalten, und es

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Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_272.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)