Seite:Von der Sprachfaehigkeit und dem Ursprung der Sprache 303.png

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muß die Ableitung der Grammatik ebenfalls von einem, in dem Wesen des Menschen liegenden Grunde, von der natürlichen Anlage zum Sprechen ausgehen, und zeigen, wie diese Anlage durch das Bedürfniß geweckt, und nach und nach auf die Erfindung der verschiedenen Arten der Wortfügung geleitet wurde.


Die ersten Wörter waren gewiß ganze Sätze: sie faßten, vielleicht in einer einzigen Sylbe; welche wiederholt werden konnte, ein Substantiv und ein Zeitwort in sich. Z. B. Die Nachahmung des Löwengebrülls deutete der Horde an, es komme ein Löwe. — Man hat behauptet, die ersten Worte seien Zeichen des Vergangenen gewesen. Dies läßt sich aber nicht wohl annehmen: denn, wenn diese Worte das Geschehene hätten bezeichnen sollen, so müßten vergangene und gegenwärtige Zeit schon genau von einander abgesondert gewesen sein, und zum Behuf dieser Unterscheidung beide ein bestimmtes Zeichen gehabt haben. Die ersten Worte waren vielmehr so unbestimmt als möglich; sie bezeichneten keine bestimmte Zeit, sondern waren bloß aoristisch: es wurde das Vergangene und Gegenwärtige zugleich ausgedrückt. Z. B. ein Löwe will eine Horde anfallen. Dies kündigt der, welcher es sieht, durch ein Geschrei an, und drückt dadurch die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zeit zugleich aus; denn er zeigt dadurch an, daß er den Löwen gesehen habe, daß er sie darauf aufmerksam machen, und ihnen die Folgen von dessen Annäherung anzeigen wolle, damit sie sich zu gemeinschaftlicher Vertheidigung rüsten können.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_303.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)