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Verschiedene: Wünschelruthe

ohne doch tollkühn zu erscheinen, so nährte Wilhelm die Hoffnung, daß der schwere Trübsinn, in den sich sein Unglück verwandelt hatte, durch irgend einen glücklichen Zufall heil werden möchte. Er drang jetzt um so mehr ernstlich in ihn, ihm die Ursache seines Kummers aufzudecken, als er bemerkte, daß Ferdinand weicher und ruhiger wurde, wenn er sich gutmüthig viel um ihn bekümmerte; und wunderbar hatte sich das Blatt gewendet, daß nun Wilhelm das Regiment führte.

Die Sonne blitzte auf die Waffen der Krieger, als wollte sie sich an ihnen zum blutigen Tag entzünden. Die feindliche Armee, weichend, verfocht jeden wohlgethanen Schritt. Es war schon im September, kein hitzigeres Gefecht war noch gewesen, die Soldaten fochten tapferer als je. Wilhelm und Ferdinand wechselten, sich einer um den andern dem Tode vorzustellen; und wie auch die eisernen Tropfen fallen mochten, das Blut blieb heiß, und der Feind zog sich zurück. Nun blänkerten die Jäger einzeln um ihn herum, und jeder zeigte einzeln seine Tapferkeit. Der unachtsame Muth zog Wilhelm hierbei zu weit vor, er bekam einen Schuß beim Vordringen in die Schulter, und da mehrere feindliche Blänker stark genaht, er aber zu Boden sinkt, wird er von jenen schnell umzingelt. Während er sich auch hier noch, so gut er kann, vertheidigt, und die Gewehre, die ihm die Soldaten, begierig ihn zu fangen, auf die Brust setzen, von sich schlägt; dringt Ferdinand gewaltig auf sie ein, jagt dem Nächsten eine Kugel durch den Kopf, greift die Andern mit aller Macht an, daß er fünfe zu Boden legt, und, erschreckt und in Furcht, die andern zwei den Reißaus nehmen, als rollten ihnen zum gewissen Grab die Kugeln unter den Füßen. Da nun Ferdinand dem Wilhelm die Stricke von den Händen schneidet, die sie ihm um die Fäuste gelegt, als er sie aus Grimm, weil er sich ergeben mußte, zusammen schlug, dreht sich der eine Weglaufer um, und, nachdem er geladen und gesehen, daß niemand mehr Arg aus ihm hat, pfeift er den tapfern Ferdinand gerade über Wilhelm weg, daß er, ohne ein Glied noch zu regen, über ihn hinstürzt. Während sich Wilhelm betäubt vor Angst und Wuth, aus den Stricken wickelt, ladet der feindliche Soldat wieder; allein mit Zittern und Zagen, als er sieht, daß Wilhelm sich aufwindet, läuft er, statt zu schießen, eiligst weiter. Die letzten vordringenden Regimenter marschierten mit klingendem Spiel eben siegreich heran und bei ihnen vorbei. Sprachlos, im Herzen zerrissen, knieete Wilhelm neben Ferdinand; und als seine Augen dem hervorströmenden Blut nachleuchten, wie einem edlen Gang der Bergmann nachsieht, riß er ihm die Weste auf, um die Wunde zu sehen, die für ihn offen stand. Da hoben sich, weiß wie eben gefallener Schnee, zwei jungfräuliche Brüste über dem zusammengedrückten Herzen; ach! und tief und schwer, als fehlte ihm ihre Hülfe, athmete Wilhelm, als er gleich einer Morgenröthe am Himmelsbusen das Blut quellen sah. „Anna! Anna!“ rief er, und Thränen legten als Thau sich über die Blumen der Vergangenheit; sie wuchsen empor um die treue Liebe mit ihren Kelchen und Glocken, und begruben sie im Duft und Feierklang des Lebens! – Eine Hand ließ Wilhelm nicht ab von Anna, mit der andern zog er den Hirschfänger und durchstach seinen Schmerz im Herzen. Als nach der Schlacht die Jäger die beiden Leichen so fanden, und Anzeige davon thaten, hat sie der König selbst gesehen, und da das Lager ringsum aufgeschlagen werden mußte, hieben die Jäger Tannenbüsche ab, und legten die beiden Kameraden darauf. So wurden sie noch am folgenden Tage von allen Soldaten gesehen, und feierlich in Ein Grab gelegt.

Der alte Förster hatte seit Anna’s Flucht keinen frohen Blick mehr verloren, und bald war er durch Kummer und Alter so gekrümmt worden, daß er nicht mehr in den Wald kommen konnte. Als nun Wilhelms Eltern die Nachricht erhalten, daß sie auf diese Weise ihren Sohn verloren, so erkundigten sie sich, selber im tiefsten Schmerz, nach Anna’s Vater; und da sie hörten, daß er schwach und hülflos lebe, machten sie sich auf zu ihm, um ihre Wohnung und ihr Vermögen, wie ihren Gram, mit ihm zu theilen. Als der Alte den traurigen Fall erfuhr, fiel er ohnmächtig nieder, und brauchte lange Zeit sich zu erholen, bis sein Schmerz in Thränen ausbrach. Hierauf hat er den Antrag der Leute angenommen und ist mitgezogen, und neben dem Ofen hat er den ersten Platz in der Stube gehabt; und jedes der Eltern erzählte von seinem Kinde, so daß die ganze Geschichte in dem Hause bis an ihr seliges Ende gehört wurde.




Lied.

Wie Sterne steigen die Gedanken
Von dir in meinem Herzen auf,
Und hellen in den stummen Schranken
Die alte Nacht mir freundlich auf.

5
Woher sie sind kann ich nicht sagen,

Sie schleichen heimlich zu mir ein,
Wie Zitterklang vom Wind getragen
In Liebchens stilles Kämmerlein.

Wie Perle sich verborgen ründet,

10
Kristall in Bergesklüften bricht,

Wie Gold zu Aesten sich verbindet,
Wie Liebe wird – ich weiß es nicht;

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_010.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)