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Verschiedene: Wünschelruthe

O Mund was sprichst du, o Herz was denkst du!




Das Fieberliedlin.
von Martin Opitz[1].

     Nechst als zugleiche lagen
Zwey Lieb in Fiebers Schmertz
Sprach er: ich bin zu tragen
Für dich bereit, mein Hertz,

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Für dich bin ich bereit zu leiden,

Und soll sich meine Seele scheiden.

     Er lag in heißer Flammen,
Die Sprache ließ schon nach,
Die Hitze kam zusammen,

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Der Puls schlug sehr gemach;

Empfund doch mitten in dem Leiden,
Weil er bey ihr wahr, Lust und Freuden.

     Sie schlug die Augen nieder,
Als er fiel in den Tod,

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Er wandte hin und wieder

Sein Haupt in letzter Noth,
Sein Hertz ward matt, die Adern sprungen,
Der Geist wurd auszufahrn gezwungen.

     Sie sprach: mein Lieb, mein Leben,

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Ich schwimme wegen dein,

Und ich, er sagt, muß geben
Für dich mein Seelelein,
So ist er in der Schoß gestorben,
Die er so treulich hatt erworben.




Altdeutsche Kunst.


Wir eilen unseren Lesern eine kunstgeschichtliche Nachricht mitzutheilen, die noch sehr wenig bekannt und vielleicht von großer Wichtigkeit seyn dürfte. Ein Kunstfreund und Kenner, der in vielfältigen Fällen den größten Scharfblick bei der Untersuchung altdeutscher Bilder gezeigt hat, fand vor einiger Zeit bei einem Bilderhändler unter mancherlei Wust unbedeutender Sachen zwei kleine Gemälde, (wir wissen die darauf vorgestellten Gegenstände nicht genau anzugeben,) augenscheinlich von dem Meister des Cöllner Dombildes, mit derselben Alterthümlichkeit in Composition und Stellungen, derselben, mehr aus der Idee des Künstlers als aus der Natur geschöpften Allgemeinheit der Gesichtszüge und des Ausdrucks, derselben weichen Rundung der Formen, Verlorenheit der Umrisse, sanften und hellen, aber blühenden Farbengebung; kurz so daß jener große Meister gar nicht zu verkennen ist, indem man nur auf diesen kleinen Bildern eine ungeübtere Hand wahrnimmt, sie also aus einer frühern Periode des Künstlers seyn möchten. Diese Bilder nun sind mit der unverkennbaren Originaljahrzahl 1447. bezeichnet; ein Name des Meisters ist nicht darauf zu entdecken. Wenn sich dieß Alles bestätigt, so wird dadurch das ganze System der alten niederdeutschen Kunstgeschichte verändert, welches geistreiche Männer aus der Vergleichung mir dem Gange der bildenden Kunst zu allen Zeiten und bei allen Völkern, nach einer wie es schien höchst treffenden Analogie, und zugleich aus vielen sehr auffallend damit zusammenstimmenden historischen Notizen ausgestellt hatten, wie es sich großentheils in Göthes Kunst und Alterthum am Rhein und Mayn, Heft 1. und andern darüber erschienenen Schriften ausspricht. Wir gestehen daß wir die Zeichen MNOX die sich auf den Außenseiten der Flügel des Dombildes befinden, und die man seit der scharfsinnigen Abhandlung des Hrn. Prof. Wallraff im


  1. Dieses schöne Lied befindet sich, so viel wir wissen, nirgends als in der höchst seltenen, von Zincgref besorgten Ausgabe von Opitzens Gedichten, Straßburg 1624. in 4. (worin auch ein Anhang von eignen Gedichten Zincgrefs und andern abgedruckt ist), weßwegen wir es hier unsern Lesern mittheilen.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_021.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)