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Verschiedene: Wünschelruthe


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Ach wie, vom Wirbel umgedreht,

Die Freundinn, eh sie untergeht,
Verstummt und nur mit Händen fleht.
Wenn unser Freund, wie sie, nur mit den Händen spricht,
Dann schweigt, und tröstet nicht.

65
Und wenn vom Sturm erschüttert

Er trauert, zagt und zittert,
So tröstet nicht: sein einzger Trost ist hin.
Doch Engel! dann erscheinet,
Und stärket ihn.

Mitgetheilt von Blumenbach.




Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne.
II.
Von A.




Die Einführung des Chors in unserm Schauspiel kann schon deßwegen nicht als mit dem Princip desselben streitend angesehn werden, weil wir in der Geschichte der neuern dramatischen Dichtkunst, selbst in ihren frühern Perioden, so häufige Versuche, also ein offenbares Hinneigen dazu, oder doch zu etwas sehr ähnlichem wahrnehmen. Wie er aber am ersten jenem Princip entsprechen mag, müssen wir betrachten, wenn wir über die beste Art seiner Erscheinung urtheilen wollen.

Bei den Griechen, denen die Natur selbst das Göttliche war, mußte auch das Schauspiel, das wie alle Kunst das Ideal der Natur aussprechen soll, von der Anbetung der Gottheit ausgehen, und reihte sich so natürlich an die Lobgesänge die sie feierten, den ursprünglichen Chor. Aber so wie in der Natur selbst ein doppelartiges Wirken Statt findet, indem ihre niedern, bloß körperlichen Kräfte die höheren, geistigen oft wie in einem Zerrspiegel nachbilden, und zugleich mit ihnen gleich zu laufen und im Streit zu stehen scheinen, sich mannichfach mit ihnen vereinigend und durchkreuzend; so stellte sich dieses Doppelleben auch in der griechischen Mythologie wie in der aller alten Völker dar, und eben so in der Art ihrer Gottesverehrung, von wo es auf die Bühne überging. In seiner Kindheit konnte das Volk es ertragen, diese zweifache Erscheinung des Lebens auf das engste verbunden, wie sie es auch in der Natur zu seyn scheint, seinen unschuldigen Blicken darstellen zu lassen; so wie es sich mehr verfeinerte, mußte sie sich immer strenger scheiden, weil sie dem forschendern Blick in einer Zusammenstellung wie ein Spott auf die erhabne Gottheit ausgesehen hätte. So verfolgte und erfaßte die Tragödie nur Eine Seite des Lebens, seine andre Hauptseite der Komödie und dem Satyrspiele überlassend; – dieß ging so weit daß selbst der Frevel in der Tragödie erhaben erscheint, und daß vieles, was sonst dem Volke heilig war, in der Komödie als komisch dargestellt werden durfte. Und da uns nun kein Leben ganz nahe tritt und zu eigen wird, das nicht von Allen Seiten dem unsrigen entgegenkommt, besonders wo der Geist zum Erhabenen hinaufgestimmt werden soll, so war ein Vermittler nöthig; als solcher blieb der Chor, und wie ein Priester stand er in der Tragödie zwischen dem Prinzip der Kunst, also der Gottheit, und dem Volke.

Ganz anders ist es mit dem neuern Schauspiel. Sein Zweck und Wesen ist, das Leben von allen Seiten, in allen seinen Beziehungen zugleich aufzufassen und darzustellen; denn Gott steht über ihnen allen. Da nun nach neuern Begriffen das größere oder geringere Eingreifen der höheren Geisterwelt in das Wesen der Erde die Rücksicht ist, in welcher das Leben fast in jeder seiner Beziehungen zweiseitig erscheint, so kann man sagen, daß unser Schauspiel auf Parodie im weitesten und höchsten Sinne des Worts gegründet ist, auf den ewigen Gegensatz zwischen Gut und Böse, Hoch und Niedrig, Tragisch und Komisch, Idee und Erscheinung, Himmlisch und Irdisch. In diesem Gegensatze, (dessen Hauptrichtung gewiß in keinem ächten neuern Schauspiele fehlt, wenn auch eine einzelne Art desselben vernachlässigt seyn sollte, wie in den meisten deutschen Schauspielen die Parodie des Tragischen und Komischen), hebt sich die Welt der Dichtung über die gemeine Wirklichkeit dadurch hinaus, daß die höhere Seite des Lebens, hier untrennbar mit der niedern in eins verschlungen, dort von ihr frei wird und scharf geschieden über ihr steht. Und wie der Mensch so die Poesie des Lebens in freiem Schaffen erhoben da stehen sieht, wird er zu ihr hinaufgezogen und lernt auf die Gegenseite herrschend herabschauen. So wird ihm die gedichtete Welt, wo er in der Mitte zwischen Himmel und Erde schwebt, wieder zur Wirklichkeit; aber doch erscheint ihm der Himmel nur in der Beziehung zur Erde, und er könnte die Idee nicht fassen, wenn er sie nicht mit der Erscheinung vergliche. Soll nun, von diesem doppelten Leben bedingt und es wieder erklärend, doch von ihm geschieden, ein drittes ihm entgegengestellt werden, so muß von jenem, als einer zweiten Natur, wieder die Idee aufgesucht werden. Und so würde der Chor bei uns Darstellung des Ideals für eine ideale Welt, die Poesie der Poesie; und wie ein zusammenhängendes Traumleben neben den Handlungen des Tages, ginge er neben dem Schauspiel her, in steter Beziehung seiner Erscheinungen unter einander und zu denen des Schauspiels, diese aber nicht unmittelbar, sondern symbolisch, in der Sprache des Traumes andeutend.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_030.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)