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Verschiedene: Wünschelruthe

die sich dabei denken läßt. – In gewissem Sinne ist das Schicksal immer Princip einer Tragödie, in diesem Sinne kann aber auch jede Gestalt des Chores, die uns in irgend einem Falle passend vorkommt, das Eingreifen des Schicksals in der Menschen Satzungen aussprechen. Neigt sich die Schicksalsidee (worunter ich hier immer die der christlichen Vorsehung mit begreife, ja vorzugsweise andeuten möchte) mehr zu einer Verherrlichung der Erscheinung der Religion auf Erden, so würden die, welche derselben unmittelbar oder mittelbar näher stehen als das übrige Menschengeschlecht, den Chor ausmachen, nach Zeit und Ort verschieden, Priester, Mönche, Pilger, geistliche Ordensritter, Kreuzritter u. s. w. – Ein ähnliches dürfte eintreten, wenn die Liebe das Wesen des Schauspiels ist, da sie gesteigert so schnell aus ihren reingöttlichen Grund, und so auf die Religion zurückkommen muß. Wo nun ein andrer Glaube an etwas Uebersinnliches – es ist hier gleichviel ob gegründet oder nicht – jenem an die ewige Wahrheit zur Seite steht oder gar an seine Stelle tritt, und so zur Stimme aus einer andern Welt wird, da wird der Chor aus denen bestehn, die dieser Glaube für inniger verbunden mit seinem höchsten Ziele hält; dieß können Astrologen, Zauberer und Andre seyn. Wo aber die Religion, der Urquell und ewige Hintergrund alles Geistigen und Heiligen auf der Welt, noch mehr zurücktritt, da nun das vorzugsweise erscheint was wir im engern Sinne Poesie nennen, und frei auf allen Blüthen des Lebens umherschwärmt, da würden Dichter im Chore singen, die sich an innerer Erhebung zu den Personen des Schauspiels verhielten wie sich der Dichter desselhen zu den Zuschauern verhalten will.

So wie das Grundprinzip eines Stückes ganz durch dasselbe durchgehen muß, so wird auch der Chor in einem Stücke durchgehends aus denselben Gestalten bestehen, und ebenso muß eine feste innere Verbindung zwischen allen Abtheilungen seiner Gesänge seyn, die, wie ich schon oben bemerkt habe, die Bedeutung und den Gang des Stücks symbolisch wiederholen sollen, oder so wie sich die Begebenheiten im Traume gebildet haben würden. Wie dieses nun am wirksamsten geschehen könne, darin darf man dem Dichter nicht vorgreifen; wir können indeß hier den Unterschied andeuten, daß die Handlung entweder durch eine zweite, sie aus einem höhern Gesichtspunkte abbildende Handlung, oder durch eine ähnliche Erzählung, oder durch andre zusammenhängende Gesänge, welche sie den Sinnen als poetisch erhoben darstellen, vergeistigt wiedererscheinen könne. Die erste Art möchte sehr schwer mit Würde und Interesse auszuführen seyn ; wenn die Gestalten des Chores und ihre Handlungen dabei in keiner äußern Verbindung mit denen des Schauspiels ständen, so würden sie dem Zuschauer leicht kalt und abschreckend vorkommen, im entgegengesetzten Falle aber ihm leicht mit den im Stück Handelnden auf derselben Stufe zu stehen scheinen, und so ihm zu nahe, die wahre Bedeutung des Chores verlieren. Die symbolische Wiederholung der Handlung in einer Erzählung würde wohl am häufigsten den rechten Standpunkt des Chores herbeiführen können; hier besonders fände der Dichter den reichsten Stoff in der Volksdichtung von den ältesten Heldensagen an bis auf so manche herrliche Romanze, in den wundervollen freundlichen Mährchen wie selbst in den einfachsten Liedern der Liebe. Jede dieser Dichtungen hat ja die Eigenschaft daß sie den ewigen epischen Hintergrund der Geschichte, der ja auch der aller Schauspiele seyn soll, ausspricht oder doch auf das vollkommenste ahnen läßt. So erscheint die Volkspoesie im höchsten Grade als zweite Welt in der wirklichen; und so wie der Dichter im Chore ihrem Inhalt folgen könnte, so könnte er auch aus der Darstellungsweise in ihnen Vieles dafür lernen; die springenden und doch einem poetischen Gemüthe so natürlichen Uebergänge in den Liedern und Romanzen würde er schicklich zum Verknüpfen der durch die Akte geschiednen Abtheilungen des Chores modificiren, die Anschauung der Natur und ihr Einfluß auf die Darstellung des Wunderbaren ist in den Mährchen und Sagen gerade wie der Chor sie haben soll. Daran würde sich manche große Erinnerung, manche andre herrliche innere Verbindung des Chores mit dem Schauspiele knüpfen; fahrende Singer die Thaten Siegfrieds zur Zeit der Schwabenkaiser singend, wo der Ton so freudig aus mancher liederreichen Brust wiederklang, würden bei dem Deutschen ein freundliches Herz finden. – Musik müßte immer vom Vortrage des Chores unzertrennlich seyn, da sie schon ihrer Natur nach ein höheres inneres Leben ausspricht, den Chor so eine Stufe hinaufrückt, und den Zuschauer dadurch mehr von ihm trennt, wenn er sich nicht lebendig unter die Handelnden versetzt. Ihre Art kann hier nicht bestimmt werden; mit unserer Opermusik dürfte sie freilich wohl keine Aehnlichkeit haben.

Aus diese Weise nun kann der Chor ohne weitere äußere Vereinigung der Handlung zur Seite und gegenüber stehen; sehr gut kann er aber auch außerdem mit ihr geradezu verbunden erscheinen, nur immer so wie die Poesie auch in das Leben spricht, über ihm erhoben und eine zweite Welt in der wirklichen ahnen lassend. Dahin rechne ich die Art wie die Dichter in Augenblicken der höheren Begeisterung mit der Welt in ein Verhältniß treten, die Wirkungen gesungener Lieder, die des größern religiösen Enthusiasmus, und die Erscheinungen der Geister. Ja letztere würden meistens erst dadurch, daß sie auch den Personen des Schauspiels

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_035.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2018)