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Verschiedene: Wünschelruthe


er sprach: „frouwe, nu sag an,
diu mere sint gar wunderlich:
durch Got! du solt bescheiden mich,

65
wie ez hiezuo si bekomen.

hast du darumbe icht vernomen?
oder hast du ie darzuo icht gegeben?
daz sage mir bi dinem leben.“
si sprach „genade, herre min,

70
ich bekenne uf die genade din,

ich bin ein vil armez wip:
ich muoz stete minen lip
mit mime spinnen erneren
unt mich damit des hungers weren.

75
do verdient ich einen helbelinc,

darnach stuont aller min gerinc,
den hete ich gerne geben daran,
do vorcht ich, herre, dinen ban
unt darzuo din vil groze dreu:

80
damite kouft ich ein kleinez heu,

daz streut ich uf die strazen
den ochsen, daz siz azen,
die die steine zugen hin.“
daz waz der frouwen reiner sin,

85
Got nam der fronwen reinen muot

fur des richen kuniges guot.
der kunic erkante rechte daz,
daz ez Gotes wille waz:
er machte die frowen riche

90
an guote sicherliche;

Got hat in ouch gewarnet wol,
ein ietslich man daz wizzen sol:
swer Got einen sulchen dienest tuo,
der gönne alle der werlde darzuo,

95
daß si lr sunde ouch gebüzen;

welle er Got furbaz grüzen
so koufe er eigen unt erbe daran,
so wirt er ein vil selic man.
der kunic sin dienst nicht verlos,

100
Got in darumbe ze friunde erkos.

nu helfe uns allentsamt Got,
daz wir behalden sin gebot.
nu sprechet alle amen,

104
die daz mere vernamen.

Anmerkung. Aus der Heidelberger Handschrift Nr. 341 S. 70 u 71: verglichen und benutzt ist eine andere, mir zugehörige, wo es sich gleichfalls in einer Sammlung kleiner Gedichte (Nr. 46) befindet, so wie es auch in jener Coloczer (Nr. 37) vorkommt.

Das Ganze scheint in einer Volkssage begründet, wenigstens ist jene noch gangbare, wornach ein vor Wien stehendes, zweihundert Jahr altes Heiligenbild von dem mühsamen, lang ersparten Verdienst einer armen Spinnerin aufgerichtet worden (S. unsere deutsche Sagen Nr. 178) nah verwandt. Crusius (ann. suev. III 387) bemerkt, daß zwischen Calw und Zabelstein an der Straße ein steinernes Kreuz stehe, in das ein Spinnrocken und die Jahrszahl 1447 eingehauen sey. „Ein 70 jähriger Mann erzählte, einst von einem mehr als hundertjährigen gehört zu haben: es wäre eine arme Spinnerin gewesen, allda im greulich tiefen Schnee erstickt.“. Ueberhaupt ward das Spinnen (Schaffen, Wirken) als eine bedeutende und fromme Arbeit betrachtet; die hl. Elisabeth ist auf einem Holzschnitt spinnend dargestellt, welches Gailer von Kaisersperg (S. das Bild und die Stelle aus dem Buch Granatapfel in Arnims Trösteinsamkeit S. 173.) geistlich zu erklären weiß.


V. 75. ein helbelinc, ein halber Pfennig. – 76. gerinc Streben, Ringen. – 79. dreu, Drohung. – 85. Er achtete höher, zog vor. – 94. der laße jeden daran Theil nehmen. – 96. Furbaz grüzen, weiter ehren, ihm dienen. – 97. so kaufe er der Kirche Eigenthum und Erbe. – 99. der König ward belohnt. – 102. behalden, halten.




Legende.




(Schluß).

In dieser höchsten Noth war Algaritha eines Morgens in brünstigem Gebet auf ihren Knieen gelegen vor dem Bilde des Erlösers, auf daß er ihr in seiner unendlichen Gnade Kraft verleihen möge, den Todesstreich abzuwenden von dem Haupt des geliebten Vaters, und die unsägliche Qual heidnischer Knechtschaft ihrem Volke. Und als sie lange also im Stillen gebetet, da war ihr, als strecke der Heiland seine Arme über sie aus wie zum Segen, und ein Lichtstrahl falle herab aus seiner Dornenkrone in ihr frommes Herz, und erleuchte, in unzähligen Funken daraus wiederstrahlend, Alles um sie her. Sie aber faltete, als sie solches gesehen, ihre Hände in Demuth auf ihrer Brust und sagte: HErr, Dein Wille geschehe. –

Als sie nun ihrem Vater erzählt, mit welcher Erscheinung sie der Heiland begnadet, erkannte auch der alsbald den Willen des Allmächtigen, neigte sich freundlich vor seiner Tochter, und verhieß ihr, zu thun wie sie ihm sagen würde. Darauf sandte Algaritha dem Tartarenfürsten einen Boten, ihm zu entbieten, er solle augenblicklich mit allen Schaaren in Frieden zurück ziehen bis auf seine Gränzen, und dort ihrer harren in strengster Ruhe; dann würde sie kommen, und ihm ihre Hand reichen als sein ehliches Gemahl.

Timurstan, der eben erst noch in frevler Freude der Vollendung seiner Siege gedacht, spottete dieser Botschaft

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_038.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)