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Verschiedene: Wünschelruthe


Stube genau wieder. Selbst gegen Hunde und andre Thiere setzte sie sich hier zur Wehr. Ritt W. aus, so saß sie neben ihm; war er ausgewesen ohne sie mitzunehmen, und sie hörte nur seine Tritte oder seine Stimme, so fing sie an zu rufen, wie ein Tauber seine Taube zum Neste zu rufen pflegt; trat er dann in sein Zimmer, so kam sie ihm mit hochaufgeblasenem Kropfe entgegengeflogen, setzte sich neben ihm nieder und kurrte mit aller Heftigkeit, den Schwanz über die Erde streichend, um ihn herum; endlich lief sie dann in eine Ecke und rief von neuem; gerade also wie es ein Tauber bei seiner Taube macht.

Am 12ten Oct. marschierte darauf das Regiment aus Münster, die Taube machte den Marsch zu Pferde mit, und ließ sich weder durch die Menge der Menschen, die sie umgaben, und ihre blitzenden Gewehre, noch durch den Lärmen des Kommandos und der Truppen schrecken. Aus Furcht, daß sie im Kriegsgetümmel verloren gehen, verhungern oder erschossen werden möchte, wollte W. sie einst in der Nähe einer Stadt von sich jagen; allein sie wich nicht. Nachdem das Regiment sich vor Hameln gelagert hatte, wohnte das treue Thier mit seinem Herrn in Einem Zelte. Eines Abends war sie fort, W. legte sich zu Bette und gab seine unzertrennliche Begleiterin schon auf, als sie sich auf einmal unter der einen Wand des Zeltes herdrängte, und zu ihm auf das Bett geflogen kam. Einige Battaillons des Corps, bei welchem W. war, standen im Feuer; er erzählte daß selbst beim Donner des Kanonen- und kleinen Gewehrfeuers die Treue nicht davon geflogen, sondern sich bloß an das Pferd oder auf die Erde gedrückt und den, den Tauben gewöhnlichen Warnungston: „hu“, ausgestoßen habe. Meiner Meinung nach übertrifft dieß Alles, was man von einer Taubenpost in der Levante und Gottfrieds von Bouillon sagen kann. –




Neugriechische Volkslieder.




Seit 30 Jahren ist durch Aufklärungssucht bei den Griechen, besonders im Archipel, viel von alten Gebräuchen und Gewohnheiten untergegangen, so unter andern früherhin die Sitte, daß die Verstorbenen, nachdem die Freunde und Verwandten in Feier- (den rechten Trauer-) Kleidern sie im offnen Sarge von ihres Gleichen, als Jünglinge von Jünglingen, Kinder von Kindern, Alte von Alten getragen, zu Grabe geleitet, diese dort noch einmal niedergesetzt wurden. Dann traten Alle einzeln herzu und küßten den Todten den Mund und stellten sich in einen Kreis, aus dem alsdann alte Frauen hervortraten, und einen Klaggesang anstimmten, worin sie gleichsam aus der Seele des Todten Abschied von der Erde und allem was ihnen nahe stand, nahmen. Diese Gesänge, die keineswegs wirkliche Kirchenlieder, kommen jetzt meist ab. Die ganze Sitte hat noch etwas von altgriechischem Character, ja die Lieder selbst möchten uns verführen zu glauben, daß sie aus der heidnischen Zeit stammen; sie drücken bloß die tiefste Trauer aus, daß wir Abschied nehmen müßen von der Erde und der Freude, und in die dunkle Nacht sinken; aber durchaus nicht die Christliche Gesinnung, deren Lieder und Hoffnung und Freude auf ein lichtes ewiges Leben geben. –

Die beiden hier abgedruckten Lieder sind Klagen verstorbener Kinder, und von so wunderbarer Tiefe, daß wir ihnen nichts ähnliches zur Seite zu setzen wüßten.


2.

Jenseits vor jenem Felsgebirg, dem allerhöchsten und großen,
Das Wolken um die Gipfel hat, und Nebel um die Wurzel,
Dort wächst das Kräutchen Vergeßenheit, das weiden die Schaafheerden,
Dort gehen Schaaf-Mütter hin und vergessen ihre Lämmer.
Geh hin auch du mein Mütterchen, daß meiner du vergeßest!
Tausendmal äß’ ich auch davon, vergessen hätt’ ich nimmer!


3.

Meine feuerrothe Nelke, und du blaue Hyacinte
Beuge dich, daß ich dich greife, und ’nen süßen Kuß dir gebe!
Und von hinnen soll ich reisen, und Vater läßt mich nimmer!

Meine feuerrothe Nelke, und du blaue Hyacinte
Beuge dich, daß ich dich greife, und ’nen süßen Kuß dir gebe
Und von hinnen soll ich reisen, und die Mutter läßt mich nimmer!

Kommen ist die Zeit und Stunde, wo wir uns trennen werden
Und uns nimmer mehr begegnen, und mein Herz thut mir so wehe!
Weil wir so uns trennen werden und uns nimmer mehr begegnen!
Und die Augen sind voll Thränen, und sie drehn sich starr wie Räder,
Weil wir so uns trennen werden und uns nimmer mehr begegnen!




Versus memoriales.

Im Thiergarten zu Berlin stehen folgende ganz vortreffliche Verse, vielleicht von der Hand eines juristisch poetisierenden Gärtners, dem die Welt ungemein weitläufig geworden.


Was deinem Haupt sein Haar das ist sein Laub dem Baum,
Beraubt von Frevlers Hand, sind sie bald öder Raum,
Giebst du dazu die dein’, o Wandrer sprichst denn du
Dir selber nicht des Haar-abschneidens Urtheil zu?

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_048.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)