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Verschiedene: Wünschelruthe

     „Ist’s ein Theil von meiner Seele,
Daß ich so unendlich sehne
Aus der engen Menschenhöhle

20
Fliehen möcht’ in meine Töne?

Bin zu selig für die Thräne,
Und die Sprache ist zu drückend,
In dem stillen Rausch der Töne
Ist die Liebe nur beglückend.“

25
     Auf Toledo’s Blumenmauern

Saß Elvire stiller Liebe,
Ließ die Töne seufzen, trauern,
Wie der inn’re Geist sie triebe.
Ihre Lieder nun erwiedert

30
Süßer von der Nacht sie höret,

Ihrer frohen Angst verbrüdert,
Lauschend sich das Sehnen mehret.

     „Sind es meiner Laute Klagen,
Die dem Wiederhall sich reichen?

35
Nein, denn lieblicher sie sagen

Stiller Seelen Thränenzeichen.
Wer mag auch ein Seufzen wagen,
Wenn so süße Töne schleichen
Und vom Weh der Liebe klagen,

40
Daß manch’ Wangenrosen bleichen.“


     Um und auf Toledo’s Mauern
Klang allnächtlich stilles Tönen
Wie von Liebeslust und Trauern,
Wie von Seufzern und von Thränen.

45
Ihres Glanzes Mondenschimmer

Oft wohl die Geliebten sahen;
Doch ihr Auge lächelt’ nimmer
Bei des Heißgeliebten Nahen.

     Auf Toledo’s Blumenmauern

50
Stieg Alonso lieberkranket,

Und vom Mond floß kaltes Schauern,
Daß das Knie ihm bebt und wanket;
Doch kein Ton wird izt vernommen,
Stille ist’s und gräßlich schaurig,

55
Und die Wolken bleich entglommen

Bargen schnell den Mond und traurig.

     Er ein bleiches Mägdlein siehet,
Lieb’ im Antliz noch und Trauern;
Roth noch auf den Lippen glühet,

60
Ob sie gleich vom Tode schauern;

Und Alonso läßt die Klänge
Zuckend rasch zum Aether ziehen,
Daß er sich das Herz zersprenge,
Oder Todte zu durchglühen.

65
     Die er lebend nur geahnet,

Todesfrostig wild er küßet;
Still der Mond am Himmel planet,
Thränen auf die Todte gießet.
Süß Getön noch oft man höret,

70
Gleich dem alten Liebestrauern,

Daß sich Manches Sehnsucht nähret
Um Toledo’s Blumenmauern.

J. Kreuser.




Sagen aus Lübeck[1].




1.
Der erwürgte Bürge.

In der reichen Handelsstadt Lübeck begab es ich einst, daß in des Andreas Geverds Hause aus dem Klingenberg eine Brustnadel mit Perlen geziert verloren ging. Der Verdacht fiel mehr auf einheimische als auf fremde Diebe, und der Bestohlene war sehr begierig, den Entwender zu erfahren, ging auch deßhalb viel nach Zaubermitteln aus.

In dem Hause arbeitete zur selben Zeit ein Taglöhner, des Herrn Geverds Gevatter; auf diesen kam der Verdacht. Er wurde darüber zur Rede gestellt und geradezu gefragt, ob er nicht der Hausdieb, der die Perlennadel gestohlen. Diese Frage kam dem unschuldigen Mann so unerwartet, daß er darauf erblaßte und ganz verstummte. Der Bestohlene nahm dies für ein stillschweigendes Bekenntniß, ließ ihn alsbald in Verhaft bringen und auf die Marterbank werfen, wo er zulezt sich als Thäter bekannte, aber flehentlich um sein Leben bat, weil er des Richters Gevatter sey. Der Richter aber, der hier zugleich Ankläger war, sagte, daß er keinen Dieben für seinen Gevatter erkenne, er müsse hängen, da helfe keine Freundschaft. Hierüber betrübte sich der Handwerksmann sehr und sagte, daß er unschuldig, und seinem Gevatter nichts veruntreut habe. Das Urtheil war jedoch schon fertig, und als es ihm vorgelesen wurde und er keine menschliche Rettung mehr sah, sprach er zum Richter: „Herr Gevatter, weil ich ja sterben soll, so fordere ich euch in vierzehn Tagen vor das strenge Gericht Gottes, da sollt ihr mir wegen meines unschuldigen Todes zu Recht stehn.“ Darauf wurde er fortgeführt und an den Galgen gehängt.

Wenige Tage nachher fand sich die Nadel hinter einer Bank. Darüber ging dem Bürgermeister das Unrecht sehr zu


  1. Wir ersuchen jeden, besonders Lübecker, freundlichst, uns Nachricht zu geben, ob diese Sagen in L. noch leben, ob des Herrn Geverds Haus noch steht, und von dem Blutflecken, wie von dem Bild des Malers Stimmer (s. nächst. Blatt.) noch Spuren vorhanden. (Diese Sagen sind, wie die Nr. 15. d. W. abgedruckte Novelle: Cornelia Bentivogli, nach Harsdörffer). D. H.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_079.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)