Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 138.jpg

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ist, welcher zugleich dem Johannes die Zange, mit der die Nägel ausgezogen, hinüberreicht. Dieser, hinter der Maria stehend, ist bereit, die der Ohnmacht nahe in seinen Armen zu empfangen; neben ihm steht die weinende Magdalena. Auf der andern Seite ganz im Vorgrunde sieht man halb im Rücken Nicodemus, die Rechte nach Christo zu erhebend, mit der Linken eine Schale mit Wasser haltend, in der ein blutiger Schwamm. Die Anordnnung der Farben ist weise; der so vortrefflich gemalte als gezeichnete Leichnam und das einfache dunkelgrüne Gewand der Maria lassen das Auge fest auf den Hauptgestalten ruhen, während der dunkle Pelz des Nicodemus und der rothe Mantel des Johannes sie auf verschiedene Weise heben, und die nach altdeutscher Art bunten Gewänder der Magdalena und des dritten Mannes ihnen sehr gut zur Grundlage dienen. Die schöne felsenreiche Landschaft, in der man im Hintergrunde auf der einen Seite die Kreuzigung, auf der andern die Grablegung wahrnimmt, ist auf den Flügeln fortgesetzt. Die zwei Figuren auf denselben gehören auch, gegen die sonstige Gewohnheit, zu der Vorstellung des Mittelbildes, obgleich beide in ruhiger Stellung nur durch die Gesichtszüge Antheil an der Handlung verrathen; rechts (vom Bilde aus) die heilige Veronika, links Joseph von Arimathia, jene das Schweißtuch mit dem Bilde des Erlösers, dieser die Dornenkrone, mit beiden Händen haltend. Die Vergleichung zwischen dem Kopf des Heilandes und seinem Abbilde auf dem Tuche dringt sich uns auf und ist bedeutend; es ist der göttliche Schmerz der die selige Ruhe, und die göttliche Ruhe die das ewige selige Leben verkündet.

(Die Fortsetzung folgt).




Die Sagen vom mythischen Virgil.




(Fortsetzung).

Noch zwei von Dobenek nicht angeführte Stellen aus Gervasius fügen wir hinzu. Er erzählt (S. 964), „im Jahr wo Akon belagert wurde (1191), habe in Salene ein alter Freund ihn besucht. Beide begeben sich nach Nola, wo Gervasius damals auf Befehl König Wilhelms von Sicilien sich aufhielt; von dort nach Neapel, um ein Schiff zur Ueberfahrt nach Sicilien zu suchen. In kurzer Zeit erreichen sie, was sie wünschen. Da fragt sie der Erzdechant Pinatelli, zu welchem Thor von Neapel sie eingegangen wären. Sie nennen es. Er fragt weiter, ob rechts oder links. Sie sagen rechts, da ein Esel die näher liegende linke Seite eingenommen hätte. Da spricht der Erzdechant: „damit Ihr erfahret, wie viel wunderbares Virgil in dieser Stadt verfertigt hat, so wollen wir dorthin gehen, und ich will euch zeigen, welche Denkwürdigkeit Virgil über der Erde zurückgelassen hat[1]“. Das Thor hat zwei Eingänge; über der rechten Seite finden sie einen Kopf aus parischem Marmor mit heiterer und lächelnder Miene. Ueber der linken, einen Kopf aus demselben Marmor, zürnend und betrübt. Wer nun rechts eingeht in die Stadt, dem gelingt alles, wer links eingeht, dem mißlingt alles; nur muß dies von ungefähr geschehn, und nicht ans Absicht, welche hervorgeht aus der Kenntniß dieses Wunders. Denn dann hilft es nichs.

Die zweite Stelle ist S. 1001. Zur Zeit des Königs Roger von Sicilien kam ein englischer Magister zu diesem König, und bat ihn um eine Gnade. Roger bewilligt sie. Jener bittet um das, was bei den Menschen gering geschätzt wird, um die Gebeine des Virgil. Er erhält einen Freibrief des Königs, sie zu nehmen, wo er sie finde, geht nach Neapel, und niemand weiß dort, wo sie sind. Der Magister geht in eine bergichte Gegend, und läßt in einem Berge nachgraben, der oben keine Spalte als Spur einer Oeffnung hat. Nach langer Mühe findet man tief unten die Gebeine; am Kopfende liegt ein Buch, worin die Ars notoria aufgezeichnet steht. Schnell verbreitet sich die Nachricht, und das Volk rottet sich zusammen, um die Wegschaffung der Gebeine zu hindern, da es durch dieselben Neapels Glück und Erhaltung gesichert glaubt. Die irdischen Reste des Virgil wurden also in das Kastell am Meer in Sicherheit gebracht, wo man sie durch eiserne Gitter sehen konnte. Der Magister bekam nur das gefundne Zauberbuch, und, fügt Gervasius hinzu, wir haben einige Aufzüge aus diesem Buch selbst gesehn, und haben durch die Erfahrung das darin enthaltene durchaus bestätigt gefunden.

Aus derselben Zeit sind die Nachrichten des Helinandus (starb 1227), aufgenommen in das Speculum historiale des Vencentius Burgundus, Praesul Bellovacensis Duaci 1624 I. 6. c. 61 p.193): Dieser Virgil soll vieles wunderbar verfertigt haben. In dem Thor von Neapel in Campanien soll eine eherne Fliege gewesen sein, welche alle Fliegen aus der Stadt vertrieb. In derselben Stadt soll er einen Fleischscharren erbaut haben, so, daß daselbst kein Fleisch verfaulte. Auch soll er einen Glockenthurm so errichtet haben, daß der steinerne Thurm sich auf dieselbe Art bewegte, wie die Glocken, wenn sie schlugen. - Aber auch einen Garten hat er

  1. Et ostendam, quod in illa porta memoriale reliquerit Virgilis super terram.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_138.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)