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Verschiedene: Wünschelruthe

Das Aug ist des Herzens Zeuge.




Jahr und Leben.
Vier Elementarlieder.




I.
Luft.
Frühlings Jugend.

Der Mensch legt unter Frühlingsfäden
     Die Hoffnung in der Erde Schooß,
Er will mit Liebe sie bereden,
     Daß sie sie heg und pflege groß.

5
Und hat das Kind dann aufgeschlagen

     Die tausend Augen zu der Welt,
Da müssen die hebenden Lüfte es tragen,
     Die sind ihm zu ewigen Hütern bestellt.

Und unter Wolkenthränen blühet,

10
     Was ihm der Freudenstrahl erweckt,

Im grünen Herzen still erglühet,
     Und aus der Thrän’ den Halm ausstreckt.

Da denkt der Säer Frühlingslieder,
     Es hebt sich in der dunklen Brust,

15
Im Aug sucht er sein Auge wieder,

     Und schlägt das Herz um seine Lust.

Und in des Liebchens Himmelsauge
     Steigt auf die Welt, die in ihm lag,
Ob sie sich neig, ob sie ihm tauge,

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     Ob in dem Aug’ sein Glück nicht brach!


So frägt er nachts die hohen Sterne,
     Die ernst gewiegt ihm sein Geschick,
Daß es sich senk aus ew’ger Ferne
     Und in ihm ruh zu ew’gem Glück.

25
Da steigt die Thräne aus dem Herzen

     Zu ihrem Auge vor ihm auf,
Da blühet aus der Sehnsucht Schmerzen
     Die Welt, das Glück, die Lieb ihm auf.

Denn in dem Spiegel einer Zähre,

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Da liegt der Himmel, liegt die Welt,

Ob sie entweich, sich ihm gewähre,
Ist zweifelhaft ihm noch gestellt.

O trink sie von der Wimper Saume,
     Du Zecher so lang’ sie dir noch glüht,

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Und dein ist Glück und Welt im Traume,

     Der tief das Herze dir durchzieht.




Das Jägerhaus.




(Fortsetzung).

Marie war schon längst wieder heim und saß an der Seite ihrer jüngern Schwester über einer zierlichen Stickerey die sie für Edmund angelegt, doch immer noch in trübem Sinnen in den Begegnissen des Vormittags versenkt, wo, was die Liebe ihr kaum verhieß, der tödtendste Schrecken ihr entrissen hatte. Ihre Arbeit gelang ihr heute nicht, es war als verhängte ihr ein Flor die Augen; sie glaubte es sey ihr aufgelöstes Haar, das voll und schwer seinen Flechten entfallen, doch als sie dies ordnend vor den Spiegel trat, erschrack sie vor ihrem bethränten Blick und ihrer ungewöhnlichen Blässe. Lieber Gott, dachte sie, indem sie ihr Geschäft bei Seite legte, kömmt denn der Liebe Quaal schon so früh, ja früher als ihre schuldlosen Freuden? – „Komm Agnes“ sagte sie drauf laut zu ihrer Schwester – „es ist hier so

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_153.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2019)