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Verschiedene: Wünschelruthe

Costums, nur vielleicht mehr von einer festen Regel geleitet. Die Unzulänglichkeit und das Halbe, welches in einem Studium der Kleidungen und anderer Eigenheiten der Zeiten, in welche die Gegenstände fallen, liegt, das Fremde, Kalte und Abgeschlossene, was dadurch beständig die Darstellungen für den Beschauer behalten müssen, war den Künstlern klar; sie wollten Alles ihrer Zeit, für die sie zunächst arbeiteten, so nahe legen und so vertraut machen als möglich, und konnten es auch in diesen Dingen, da sie ihre Zeit in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit ehren konnten und ehrten. So hielten sie sich ganz an ihre Umgebungen, welches auch schon durch ihre beständige Nachbildung der Natur bedingt wurde und ihr wieder zu Hülfe kam; (wodurch es denn freilich mit bewirkt wurde, daß die höhere Ausbildung der Zeichnung des Nackten zurückblieb, und, wenn einmal Theile vorkamen die gewöhnlich bedeckt waren, diese nur streng und unverschönert nachgeahmt wurden: denn eigentliche Zeichnungsfehler findet man fast nie). Nur wo das Gemüth sich höher, in Andacht und Bewunderung, über das Irdische erheben sollte, da bildeten sie sich zuweilen im Geist ein idealisches Costum, und dem Unbefangenen wird noch jetzt die Richtigkeit dieser ganzen Ansicht einleuchten, wenn er sich erst mehr an das uns freilich sehr Entlegene gewöhnt und dann gewiß einsieht, wie das aus lebendiger Anschauung Hervorgegangene auch einen objektiven Vorzug von dem durch Studium Erlangten hat, und uns wärmer und vertrauter in seinen Kreis zieht. – Worin sich aber die innige Verbindung der idealischen Erhebung mit der bestimmtesten Naturnachbildung am schönsten bei den niederdeutschen Malern offenbart, das ist ohne Zweifel die Farbe, und was damit unzertrennlich verbunden ist, die Behandlung von Licht und Schatten; der Beschauer bekennt staunend und es selbst nicht begreifend, es ist die reine Natur und doch schöner als die Erscheinung der Natur. Mit dem freiesten empfänglichsten Sinne für diese Zweige der Kunst ausgestattet, faßten sie es gleich auf, daß sich geistige Schönheit darin so gern und so herrlich abspiegle; die Seele, wie sie ihr eigenstes Wesen aus Augen und Wangen und Lippen stralt, kann es für die Sinne nur aus feurigen Augen und frischen Wangen und Lippen, und diese wollen gemalt seyn. Dabei blieben alle Kunstgriffe und Kunstregeln, um Harmonie und Haltung hervorzubringen, so entfernt wenigstens, daß man sie nicht wohl irgend nachweisen kann; aber es wird vielleicht erst ein kommendes Geschlecht es allgemeiner anerkennen, daß dieß die rechte Harmonie und Haltung sey, die sich auf den ursprünglichen Geist der Natur gründet, und sich so fern als möglich von Conventionen hält, welche falsch und mühsam das Auge bei düstern geschminkten Bildern täuschen mögen, – wo etwa z. B. ein heller Körper nicht hervortreten will, wenn er keinen dunkeln Hintergrund hat, – aber von dieser heitern Herrlichkeit, dem Kinde des ächten Kindersinnes für die Farbe, worin die Täuschung selbst im Innersten der Wahrheit liegt, billig verschmäht werden dürfen. Und so scheuen wir uns nicht zu sagen, daß gegen diese Wahrheit die Pracht der alten Italiäner, und gegen diese Pracht die Wahrheit der Venetianer zurücktritt, und diese Glut nur bei Corregio geahnet werden kann; während in diesen Einzelnheiten eines scharfen sprechenden Ausdrucks und in dieser Zierlichkeit und Vollendung der Ausführung, neben der Größe der Gedanken und der Tiefe des Gemüthes, längst erreicht war, wonach die spätern Niederländer, und am glücklichsten Gerhard Dow, allein strebten. Und so mögen jene auch den Zauber des Helldunkels nicht kennen, wie er seiner Natur nach Corregios Eigenthümlichkeit sein Daseyn verdankt und von ihm den Namen haben sollte, statt daß man einen Hauptzweig der Kunst daraus machte und so die Nachbeter mit dem großen Meister in eine Klasse warf; aber was Licht und Schatten ist, wußten die alten Niederländer auch und man staunt, wenn man in der größten Nähe dieses Wunder betrachtet, und gar keine andre Farbe sieht als die des Körpers (wie etwa ein allgemeines Grün oder Braun bei Späteren, sondern nur den Schatten, der bei schwächerer Beleuchtung wieder das Licht derselben Farbe werden könnte. – Ein Gleiches ist es mit der Composition, und Göthe sagt mit großem Recht, daß auf keinem Eyckschen Bilde eine Gruppe an Kunstgemäßheit mit den Engelchen bei der uralten rheinischen Veronika zu vergleichen sey; aber es ist das wohl die reinste Freude, die ein so unbewußt malerischer Sinn gewährt, der malerisch ist weil er rein menschlich ist, der nur blickt und empfängt und schon zugleich producirt; es liegt hier alles einander zu nah als daß Natur und Kunst irgend jede für sich selbständig wirken könnten, es ist Alles nur so weil es das Auge so sah – und welches Auge sieht es nicht gern? – So ergingen sich diese Herrlichen mit kindlich seligem Gemüthe in allen Wundern der Natur, den weitesten wie den beschränktesten im Raum; so entstanden auch diese Landschaften, die neben der inneren und doch die Sinne ansprechenden Bedeutung in Bezug auf die Figuren, den schärfsten Blick in die Nähe und Weite so lieblich beurkunden, indem alle Gründe, der vorderste wie die unendliche Ferne, jeder sein eignes Interesse haben und seinen eigenthümlichen Charakter, und indem der so ächt deutsche Sinn für ein heimliches Zuhauseseyn an freundlichen Plätzen überall sich so rein ausspricht und so liebevoll geweckt wird.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_211.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)