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Verschiedene: Wünschelruthe

nicht mit der Milde der innern Auffassung zusammenstimmenden Manier, fast einen trüben Anblick; wobei zu bemerken ist, daß das Porträt nicht auf die früheren Jahre des Meisters schließen läßt. Sehr auffallend muß uns dieß werden, wenn wir uns von hier zu zwei eben so heiter gewählten als behandelten Bildern Johanns wenden, von denen jedes in einem kleinen Raum einen unendlichen Reichthum von Anmuth und Lieblichkeit umfaßt. Das erste ist eine Anbetung der Könige, ein Gegenstand, den uns die altdeutsche Kunst in so mannichfaltigen Darstellungen immer neu und in frischem Reize darbietet. Zwischen dem alten Gemäuer, das nur schwach mit Balken und Stroh gedeckt ist, sitzt Maria; die Züge ihres ernsten Antlitzes, das in schöner tiefer Beschaulichkeit auf das freundliche Kind niedergewandt ist, sind weniger regelmäßig und jugendlich als sonst; das Kind dagegen ist von lieblicheren Formen als man es hierin bei dem Meister gewohnt ist, es wendet sich lächelnd zu dem auf dem Vorgrunde das Knie beugenden Joseph zurück, der hier nicht mürrisch wie zu einem humoristischen Gegensatz aufgefaßt ist, sondern in der offensten Heiterkeit, ein wahrhaft jugendlicher Greis. Der erste König knieet ganz einfach grade vor dem Kinde mit gefaltenen Händen, in fürstlichem Pelzmantel, er ist durchaus Porträt, die Züge groß und scharf; die andern ganz nach dem gewöhnlichen Typus, der Mohr stehend empfängt ein Gefäß von einem Diener aus dem reichen Gefolge. Die schöne Aussicht thut sich in der Mitte auf, neben dem zurückstehenden Gemäuer hin, auf dem zwei Tauben sich schnäbeln; zunächst hinter der weiten Fensteröffnung sieht man den Donatar, und auf der andern Seite die beiden Brüder van Eyck, ganz unverkennbar, Hubert in mittleren Jahren und ernst, Johann ein blühender Jüngling mit blonden Locken, dem Rafael ähnlich. Dieß macht es wahrscheinlich daß das Bild in seine frühere Zeit gehört, wie auch die einfache Alterthümlichkeit der Composition, die nicht ganz erreichte Vollkommenheit der Ausführung; woraus man sieht daß auch bei dem einzelnen Künstler so wenig als bei der Kunst überhaupt ein Uebergang vom Bestimmteren und Festen zum geistig Verschwebenden vorausgesetzt werden darf, indem hier das mehr Verlorene, die größere Weichheit der Behandlung bei weniger strenger Naturnachbildung der Einzelnheiten, so wie die mehr idealisirte Form des Kindes, sonst auf eine spätere Entstehung würden schließen lassen. – Größere Wunder des Pinsels, bei derselben weichen und zarten Malerei, finden wir auf dem zweiten Gemälde, einem Kniestück mit zwei Flügeln, das in seiner holden Einfachheit fast am wenigsten von Allen beschrieben werden kann. Die lieblich lächelnde Mutter mit dem Kinde auf dem Schooße, das mit einem Vögelchen an einem Faden spielt, auf den Flügeln zwei Heilige stehend, Johannes der Evangelist der den Kelch einsegnet, und die heilige Agnes mit wunderbar unschuldigem Blick in einem Buche lesend, das Lamm an ihr hinaufspringend, alles in einer blühenden Landschaft; dieß ist der anspruchlose Gegenstand, der in seiner zierlichen und doch rein naturgemäßen Zartheit den Beschauer beständig festhalten könnte und mit immer neuem Reize zu sich zurückzieht.

Wir haben an mehreren Bildern von Hans Hemmelink gesehen, daß er Meister war in der Darstellung von Leidenschaften und momentanen Bewegungen; doch dürfen wir ihn keineswegs, weder der Zeit noch der Richtung nach, in die Periode rechnen, wo dieses durchaus das vorherrschende war. Alle solche Einseitigkeit mußte ihm gänzlich fremd seyn, indem sein durchdringender Blick in die Natur durch nichts gebunden war, als was ihm eben die Natur vorschrieb; stellt er Leidenschaften dar, so sieht man durch diese den Charakter stets hindurch, so daß sie selbst eine viel tiefere Bedeutung erhalten und der Ausdruck verschiedener Gestalten bei ganz gleichen Gemüthsbewegungen bei ihm nie derselbe ist; von späteren deutschen Künstlern ist ihm hierin keiner ähnlich als Dürer. Die Sammlung bewahrt von Hemmelink außer einem einzelnen Flügel mit zwei Heiligen, wahrscheinlich einem Jugendbilde, noch zwei köstliche Gemälde, Darstellungen aus dem alten Testamente, wie er sie oft wählte, indem er auch in den Gegenständen, meistens vermuthlich wenn ihm nichts vorgeschrieben war, von allem Hergebrachten abwich, und hier so reiche Nahrung für sein Talent fand. Das erste der Bilder stellt eine israelische Familie vor, die das Osterlamm vor dem Auszuge aus Aegypten genießt. Sie besteht außer dem Vater, einem würdigen ruhigen Mann mit langem dunkeln Bart, noch nicht im Greisenalter, der in der Mitte vor dem Tische steht und das Lamm theilt, aus zwei Frauen und drei Männern, zu denen noch einer aus einem andern Zimmer hereintritt. Alle stehen um den Tisch, reisefertig mit Hüten und Mützen, die meisten einen Stab in der Linken haltend. Die größte Ruhe herrscht auf der ganzen Darstellung; man sieht, sie haben alle während der Anstalten zur Reise auch innerlich mit sich abgeschlossen, und im Gemüthe aufgeräumt wie rings umher im Zimmer von den reinlichen Wandbänken und Schränken, so daß sie jetzt das feierliche Mahl mit allem Ernst einer religiösen Handlung, die widerstrebenden Gefühle zurückdrängend, in stiller Ergebung in den Willen des Herrn und Erwartung der Zukunft begehen können. Dieser Sinn spricht sich mannichfach in den verschiedenen Gestalten aus; in allen aber erkennt man die Stimmung, daß sie die Speise

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_214.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)