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Verschiedene: Wünschelruthe

Albrecht Dürers huldigen. Während jene Niederländer der zweiten Periode, in der vortrefflichsten Schule gebildet, ihren Sinn an den herrlichen Werken ihrer Vorgänger nähren, und die meisten von ihnen sich Italiens Schätze aneignen konnten, sieht man es ihnen doch nur zu oft an, daß es etwas angeeignetes war, daß äußere Umstände etwas anderes und vielleicht nur äußerlich mehr hervorbrachten, als das Zusammentreffen der Individualität mit dem Zeitalter an sich gethan hätte. Damals nun arbeitete der Reichsstädter Dürer, ohne begünstigende Umstände als seinen großen Geist und eine große Zeit, rein aus sich heraus, seine nächste Umgebung vor Augen, in der er aber das Allgemeine so zu erfassen wußte, daß er den Sinn des deutschen Volkes und seines ganzen Zeitalters am vollständigsten aussprach. So hat er an der äußersten Spitze der Individualität wieder das Allgemeinmenschliche aufgefunden und beide zusammen auf das reinste gegeben. Sieht man ihn z. B. neben Mabuse, so wird gewiß die Farbenpracht, die zierliche Form, die äußere Vollendung bei diesem, den Blick eines jeden der offne Sinne hat zuerst auf sich ziehen; aber jeder der Gemüth hat wird gern länger bei jenem verweilen, wo der festeste und liebevollste Natursinn, die Selbstständigkeit der Auffassung, die es deutlich offenbart daß Alles nothwendig so vor dem Geiste des Künstlers vorüberging, das tiefe ernste Ehren alles Ursprünglichen, der Andeutungen des Göttlichen in der Natur, und des Innersten der menschlichen Brust, und endlich die großartige Durchschauung der Parodie in der Natur, – wo alles dieses, so deutsch und eigenthümlich dargestellt, seine Mängel, in denen selbst etwas Großes liegt, alles Düstre, Trockne und Harte, lieber als bei Andern vergessen macht und so sehr als nur irgend etwas von der Anhänglichkeit an eine Manier heilen kann. – Wir müssen von fünf Gemälden Dürers in der Sammlung besonders noch zwei auszeichnen. Das erste, ein ziemlich großes Flügelbild, die Abnahme vom Kreuz vorstellend, soll nach einer in Franken befindlichen Zeichnung Rafaels, die derselbe wahrscheinlich dem Dürer geschickt, mit einigen Veränderungen entworfen seyn; welches uns das schöne Bild um so merkwürdiger macht. Die Composition ist in der That von den sonstigen Dürerschen durchaus abweichend, und zugleich von einer hohen Großartigkeit; indeß ist alles Einzelne so sehr verdeutscht, daß ein Urtheil schwer seyn möchte bevor man die Zeichnung gesehen. Wir enthalten uns bis dahin aller mehreren Ausführung, da eine Beschreibung der reichen Composition doch zu weit führen würde. – Noch mehr als dieses Gemälde hat uns ein kleines angesprochen, das den Abschied Christi von der Mutter darstellt; es ist so rein aus dem Gemüthe des Meisters geflossen als nur irgend eines und ergreift das Herz mit der innigsten Rührung. Maria, von unendlicher Trauer überfließend, beugt das Knie vor ihrem Sohn und Herrn, blickt zu ihm hinauf und streckt die Hand zu ihm, der sich liebend über sie niederbeugt, empor, wie um den schwankenden Blick und den schwachen Körper an ihm zu stützen und zu sichern. Hinter ihr kniet Magdalena, beide Hände vor das abwärts niedergewandte Antlitz haltend, mit tiefer Wahrheit und Empfindung dargestellt; weiter zurück stehen drei andere Frauen, die Hände ringend, in stillerem Schmerz. Dem Erlöser folgen mehrere Apostel, unter ihnen Johannes, die Hände kreuzweis über die Brust geschlagen; zwei gehen im Mittelgrunde davon, der eine ist Dürers Porträt, der andre soll das des Michel Wolgemut seyn. Rechts dehnt sich eine weite Landschaft aus, links hinter den Frauen ist sie beschränkt durch einen Thurm und eine Mauer, vor welchen ein Baum die Hauptgruppe und die schöne Umgebung vorzüglich hebt.

Wir schließen damit, von sieben Bildnissen Hans Holbeins zwei kleine, Carls V und einer jungen Frau, vorzugsweise zu preisen, die an Wahrheit, Zierlichkeit und Vollendung die Schönheiten der älteren Schule lebendig ins Gedächtniß zurückrufen.

Viel werth ist es, auch zur Vergleichung, daß die Sammlung außer den altdeutschen Bildern einen reichen Schatz vorzüglicher Italiäner und späterer Niederländer enthält; besonders wichtig sind in dieser Rücksicht einige alte Italiäner, worunter wir hier als die schönsten zwei Madonnen aus ganz verschiedenen Perioden nennen, jede vortrefflich in ihrer Art; wie es heißt, die eine von Giotto, die andre aus Rafaels Jugendzeit.

Uebersehen wir nun den ganzen Reichthum dieser schönen Sammlung, so ist es natürlich, daß wir den frommen Wunsch hegen und aussprechen, daß doch das mögliche geschehe um sie dem deutschen Vaterlande zu erhalten. Der patriotische Besitzer, in Verhältnissen die ihm gebieten sich davon zu trennen, hat schon manche Aufopferung zu jenem Zwecke nicht gescheut; und wir glauben das Beste von der liberalen Gesinnung seines Monarchen hoffen zu dürfen. Auch diese Blüthen gehören zu denen, welche es jetzt Zeit war und noch Zeit ist wieder hervorzurufen mit so manchen verscharrten, so manchen niedergetretnen, aus dem vaterländischen Boden, zur Erweckung der vaterländischen Liebe; wehe uns wenn wir einst nach den fahlen Zweigen trübe aufblicken, wenn die goldreicheren und verschwenderischeren Nachbarn mit unsern Blüthen prangen sollten, sie selbst nicht verstehend! – Es hat in unsern Tagen ein deutscher Fürst mit einem großen Beispiel gezeigt, wie ein

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_222.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)