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können. Wir vergegenwärtigen uns, wie sich die Sodalen zu diesem Verkehre drängen, von den draußen Stehenden um das hohe Glück beneidet. Ihnen Allen ist die Nähe des Erasmus eine Lust; aber nie verläßt sie dabei die scheue Empfindung, daß er auf einer ganz andern Linie stehe als sie, daß eine vis plane divina in ihm sei. So ist er trotz Allem einsam, in seiner Größe und dem aller Mitteilbarkeit entzogenen Eigensten seines Wesens. Aber durch Alles hin zeigt sich seine starke Wirkung auf die Sodalität. Er ist ein immerwährendes Vorbild. Er läßt nicht zu, daß Einer sich gehen lasse; seine Gegenwart hebt unwiderstehlich Kraft und Produktion der ihn Umgebenden. Indem er so dem Basler Humanismus sein Gepräge gibt, ist auch sein eigenes Wesen dem genius loci selbst merkwürdig entsprechend, und die Empfindung hievon lebt in all den Bezeugungen seines Wohlbehagens in Basel, seiner Freude an den Reizen des Ortes, an der Geistesart der Bewohner.

Erasmus wohnt im Hause zum Sessel, als Gast Frobens. Rings um ihn her lärmt das Leben, in dem, als im Gegenstücke des erasmischen Daseins, der Basler Humanismus ein anderes Zentrum hat. Haus und Werkstatt Frobens sind der beständige, auch draußen allgemein bekannte Sammelplatz. Hier gehen die Korrektoren ein und aus und die dieser berühmten Pressen sich bedienenden Gelehrten. Hier verbringt Rhenan einen guten Teil seines Lebens, Rat gebend, prüfend und beaufsichtigend; bei Gelegenheit diktiert er dort wissenschaftliche Arbeiten wie den Kommentar zur Germania des Tacitus; auf seinem Nachmittagsspaziergange kehrt er im Sessel an, um das Neueste zu erfahren, auch um die Briefe zu erheben, die unter seinem Namen dorthin adressiert sind. Nur die Wohnung hat er nicht auch dort; er wohnt für sich in seinem Hause, wo er in der geliebten Stille leben, „sich selbst und die Musen genießen kann“. Der Sessel, die domus alta Frobeni ist auch die Herberge durchreisender Humanisten; da werden sie fröhlich aufgenommen und wohl traktiert; da treffen sie die Sodalen; da verkehren sie. Es ist ein Zusammensein und Zusammenarbeiten so enger Art, daß von einer frobenischen Akademie gesprochen werden kann, wie in Venedig von einer aldinischen. Den Haus- und Geschäftsherrn Froben selbst haben wir kennen gelernt. Hier im Sessel, wo Tag und Nacht gearbeitet wird, im Lärme der Pressen und der gelehrten Debatten, inter literasintsr literas, wird 1515/16 sein Erasmiolus (Johannes Erasmus) geboren, das Patenkind des Erasmus und des Rhenanus. Dessen älterer Bruder Hieronymus, 1501 geboren, zum Buchdrucker bestimmt, lebt und arbeitet neben dem Vater, der noch keine Schwäche zeigt. Froben führt

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/229&oldid=- (Version vom 1.8.2018)