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Auffallender, bewusst eigentümlich aber ist die Stilisierung, die als Antikisierung geschieht. Wie der Humanist das Altertum bewundert und sich an ihm bildet, so will er in den Erscheinungen der eigenen Welt solche jener vergötterten Zeit sich wenigstens Vortäuschen. Um ein Fortsetzen, um ein Herübernehmen kann es sich nicht handeln. Aber um eine ihn befriedigende Ausdrucksform handelt es sich, wenn die Karren, die vor Rhenans Fenstern durch die Gasse rumpeln, Quadrigen heißen und das am Tische Sitzen accumbere. Das Abendessen wird zum Symposion, und wer auf dem Todbett eine würdige Haltung bewahrt, der stirbt wie Seneca. Daher die Tage nach antiker Weise datiert, der November Monat der Diana genannt wird. Wie oft und viel werden die Musen, diese humanistischen Nothelfer, angerufen. Es mag meist nur Mode sein. Da und dort ist hinter diesen Äußerlichkeiten und Phantasiespielen vielleicht ein Stück antiken Weltempfindens wirklich vorhanden.

Rein konventionell, Preisgabe schönen Eigentums für ein Fremdes von nichtssagender Allgemeinheit und Hoheit sind die bald durch Umformung bald durch Übersetzung gewonnenen antiken Namen, wobei der Näf zum Nepos wird, der Amerbach zum Amorbachius, der Brunner zum Fontejus, der Salzman zum Salandronius, der Hartman zum Cratander usw. Ähnlich der dem gotischen Häuslein zum Tanz vorgemalten Renaissanceprachtfassade Holbeins. Und vollends als Maskerade erscheint uns, daß Glarean in seiner Lehranstalt Würden und Titel der römischen Republik braucht, sich selbst als consul auftreten läßt, die Zöglinge als censor praetor aedilis usw.


Der Humanist empfindet seine Existenz als eine ungewöhnliche, und dem entsprechen die so häufigen Äußerungen seines Selbstgefühles. Es ist aber weniger Persönlichkeits-, als Standesgefühl und Kastenbewußtsein, zuweilen — bei den Amerbachen — noch mit einem speziellen Familienstolze gemischt. Das Gefühl einer an keine irdischen Grenzen gebundenen Genossenschaft, einer neuen geistigen Partei. Zugleich das gemeinsame Glücklichsein einer Generation, die sich jung und frei und berechtigt fühlt.

Mit diesem Selbstbewußtsein geht zusammen die stärkste Empfindlichkeit, die schroffe oder spöttische Abwehr von Andersgesinnten. Im Verkehre mir den Genossen aber herrscht Enthusiasmus, überschwängliches Loben, überschwängliches Werben um Freundschaft. Da ist Alles voll heißen Atems; Alles superlativisch gefaßt. Freude des Einen am Andern, Freude am Humanistenleben wird uns in diesen klingenden Worten verkündet, vielleicht zuweilen auch nur vorgespielt.


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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/262&oldid=- (Version vom 1.8.2018)