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In diesen Zustand hinein kommt nun die mächtigste Erschütterung durch Luthers Auftreten; er leugnet die päpstliche Autorität, er bestreitet die Berechtigung des Unterschiedes zwischen Priestern und Laien. Ein Alarm, der zunächst Gelehrte und Geistliche in Bewegung bringt; die größere Menge wird allmählich erregt durch persönliches Besprechen und Weitertragen alles des Neuen, das der ersten Tat Luthers folgt, durch Abhandlungen Flugschriften Predigten.

Wichtig vor Allem ist diese Predigt, das „Evangelisieren“ von Vertretern einer sich meldenden neuen Kirche. Diese Redner verkünden die ausschließliche Gültigkeit des „Wortes“, der persönlichen Offenbarung Gottes, und verwerfen, was nicht daraus zu rechtfertigen ist. Sie legen die Bibel aus, am häufigsten das Evangelium des Matthäus. Durch die im erasmischen Sinne bevorzugte Verkündung der Bergpredigt mit ihren Geboten einfachster praktischer Frömmigkeit geschehen die ersten Eroberungen der Reformation. Unter diesen Kanzeln sind die Anfänge evangelischer Gemeinden.

Von da an liegt eine Entwickelung vor uns. Der Schatz von Gegenständen primitiver Devotion — Bilder Reliquien Heilige — bleibt noch eine Zeit lang unversehrt, während schon bald in dem häufigen Brechen des Fastengebotes die Auflehnung gegen den Gesetzes- und Verdienstgedanken, in vielen Gewaltsamkeiten gegen den Klerus die Empörung wider kirchliche Macht sich ankündigen. Über die ruhige Auslegung des Evangeliums durch Capito greift der neue Geist gewaltsam hinaus, und es folgen die aufreizenden Predigten Lütharts, die scharfen Angriffe Reublins auf Folge Jahrzeit Seelgeräte Messe usw. Indem so die Wirkung wächst, dringen von andern, nicht religiösen Gebieten her Tendenzen in den Kampf mit herein und versuchen den großen Strom zu teilen oder zu trüben. Wir beachten auch, wie nur schrittweise die Einzelheiten der Lehre Eingang finden. Neben dem erasmischen Schriftverständnis und der Darlegung des Gesetzes Christi wird das paulinische Evangelium von Gnade und Rechtfertigung erst allmählich eine Macht. Und dem Großteile der Gläubigen erscheint überhaupt das einfache Gotteswort, das Evangelium von der Nachfolge Christi als die Hauptsache, während ihnen dogmatische Probleme gleichgültig sind.

Dieses Leben und Reifen im Einzelnen ist mit Bestimmtheit nicht wahrzunehmen. Vieles geschieht und bleibt unbezeugt. Hinter den Akten und allen übrigen, stets nur zufälligen Nachrichten vollzieht sich in einer mächtigen Stille die Umstimmung der Geister, die Erneuerung der Gedanken.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/355&oldid=- (Version vom 1.8.2018)